Die aktuelle Coronakrise erinnert oftmals an die Spanische Grippe, der vor etwas über einem Jahrhundert rund 50 Millionen Menschen auf der ganzen Welt zum Opfer gefallen sein sollen. Zwei Historiker von der Universität Basel haben sich vor Kurzem die Zeit genommen und sich in einer Mitteilung über einige Unterschiede und Gemeinsamkeiten der zwei Pandemien geäußert.
100 Jahre zwischen zwei Gesundheitskrisen
Gegen Ende des Ersten Weltkriegs brach in jeglichen Teilen der Welt die Spanische Grippe aus und ist Schätzungen zufolge für etwa 50 Millionen Todesfälle verantwortlich. Aktuell macht uns das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 das Leben schwer. Die durch den Erreger verursachte Erkrankung Covid-19 hat sich auf der ganzen Erde ausgebreitet. Doch was hat uns die Spanische Grippe bereits gelehrt? Gibt es Wissen, das nun in der Coronakrise hilfreich sein kann?
Die Spanische Grippe im Profil
Die Spanische Grippe war die größte Pandemie der Neuzeit. Die tödliche „Jahrhundertgrippewelle“ nahm im Juli 1918 in der Endphase des Ersten Weltkriegs ihren Anfang und brachte ein Jahr lang Tod und Verderben über die Welt.
Laut der Mitteilung der Universität Basel wurde zuerst angenommen ein Bakterium stecke hinter der Grippe, das sich durch Berührung verbreitet. Die kleinen Viren waren aber schlicht und ergreifend mit den damaligen Mikroskopen noch nicht zu erkennen. Aus diesem Grund konnte der wahre Erreger erst später bestimmt werden: Das Influenzavirus H1N1 vom Typ A. Die Herkunft und Verbreitung des Erregers sind allerdings nach wie vor unklar. Laut Séveric Yersin habe damals besonders der schnelle Krankheitsverlauf für Aufruhr gesorgt. Dem Historiker und Doktoranden der Universität Basel zufolge konnten Menschen am Morgen vollkommen gesund sein und bereits am selben Nachmittag an der Spanischen Grippe sterben.
Damalige Risikogruppe
Darüber hinaus war es für Zeitzeugen sicherlich grauenvoll mitanzusehen, wie die Haut der Opfer das typische Blau annahm. Dies war auf Grund einer Immunreaktion der Fall. Speziell Personen zwischen 20 und 40 Jahren infizierten sich damals mit der Spanischen Grippe. Wieso es vorwiegend diese Altersgruppe traf, ist auch heute noch nicht aufgeklärt. Forscher vermuten dahinter allerdings ein geschwächtes Immunsystem. Wissenschaftlich belegt ist hingegen die großflächige Verbreitung von sozialer Ungleichheit, die mit der gefährlichen Erkrankung einherging. In der Schweiz traten die höchsten Todeszahlen in Quartieren mit enorm vielen Mietern auf.
Umgang mit der Spanischen Grippe
Die ersten Infektionen mit der Spanischen Grippe gab es im Sommer 1918 in der Armee ehe die Zahlen international rapide anstiegen. Laut Prof. Dr. Patrick Kury, dem Co-Leiter von Stadt.Geschichte.Basel., waren die Schweizer Regierung und Gesundheitsbehörden damals nicht gut auf die Pandemie vorbereitet und die lebensbedrohliche Krankheit wurde nicht ernst genug genommen. Dies mag jedoch vor allem daran gelegen haben, dass man einfach zu wenig über die Gefahr wusste. Schon im Juli 1918 betraute der Bundesrat die Kantone damit die Verbreitung der Krankheit einzuschränken, was diese allerdings jeweils auf eigene Faust umzusetzen versuchten. Auch die Meinungen der Mediziner in jenen Tagen gingen stark auseinander. Generell waren damals viele fragwürdigen Empfehlungen in Umlauf, um die Spanische Grippe zu kurieren, darunter auch möglichst viel Alkohol zu trinken, um so die Erreger abzutöten.
„Social Distancing“ gab es schon im 20. Jahrhundert
Schon zur damaligen Zeit rieten die Behörden aber zuhause zu bleiben und Menschenansammlungen zu meiden. Kranke Personen wurden im Krankenbett gehalten; Kirchen, Schulen, Theater und Kinos hatten geschlossen. Viele Menschen fassten diese Maßnahmen allerdings als unnötige Einschränkungen auf. Notspitäler wurden errichtet und die gesamte Schweiz wurde dazu angehalten Decken und Matratzen zu spenden, sowie Autos für Mediziner freizugeben und sich zu ehrenamtlich zu betätigen.
Welche Personengruppen in der aktuellen Coronakrise besonders gefährdet sind und was sich für diese Menschen nun verändert, erklärt Doktor Weigl hier:
Damalige Herausforderungen gleichen den aktuellen
Auch der Stress in Kliniken, Notspitälern und zuhause war für Pflegepersonal damals bereits enorm. Die Mehrzahl der Grippepatienten wurde zuhause von Familienmitgliedern oder medizinischen Pflegern versorgt. Die meisten von ihnen waren Frauen, die sich in tödliche Gefahr begaben. Für den Lohnwegfall und die Krankheitskosten mussten die Patienten selbst oder deren Familienangehörige aufkommen.
Auch wenn die meisten Todesopfer der Spanischen Grippe aus der Zivilbevölkerung stammten, so ist im kollektiven Gedächtnis insbesondere der Tod vieler Soldaten hängen geblieben. Diese wurden als „Helden des Vaterlandes“ gefeiert und geehrt. Kury zufolge handelte es sich aber nur bei etwa acht Prozent der Todesopfer um Soldaten.
Zwar hatte die öffentliche Gesundheit noch nicht so eine enorme Bedeutung wie heutzutage, doch die Spanische Grippe habe laut Yersin die Schweizer Krankenkassen signifikant verbessert, denn diese sind seitdem vom Bund mehr gefördert worden. Dem Historiker zufolge könnten es sich damals wie heute jedoch nicht alle Betroffenen leisten eine Grippe im Bett auszukurieren und Unterstützung in Anspruch zu nehmen.
Derzeitige Lage befindet sich auf anderem Niveau
Trotz der vielen Gemeinsamkeiten ist die aktuelle Coronakrise laut Kury nicht mit der damaligen Pandemie vergleichbar. Der medizinische Wissensstand, die internationale Kooperation und die möglichen Maßnahmen bewegen sich heutzutage auf einem vollkommen anderen Level. Nichtsdestotrotz zeigt die Pandemie von 1918/19 auf, wie wichtig es ist entsprechende Vorkehrungen zu treffen und dass ernste Konsequenzen unvermeidbar sind. Es wird Yersin zufolge zu nachhaltigen Folgen für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft kommen, von denen aktuell noch nicht einmal etwas geahnt wird.
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