In Algen wurden kürzlich bislang unbekannte bioaktive Komponenten gefunden, die für die Behandlung infektiöser Bakterien, wie bei MRSA und zur Bekämpfung von Hautkrebs verwendet werden können.
Wertvolle Substanzen aus dem Meer
Im Rahmen einer neuen Studie des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel wurden in einer Algenart neue bioaktive Komponenten identifiziert, die die Hautkrebs-Therapie und den Schutz vor infektiösen Bakterien signifikant verbessern könnten. Die Untersuchungsergebnisse wurden im englischsprachigen Fachjournal „Marine Drugs“ vorgestellt.
Meeresorganismen und ihre mikrobiellen Symbionten können gegen Krankheiten beim Menschen eingesetzt werden. Es existieren bereits zwölf bedeutsame lebensrettende Arzneimittel, die aus ihnen gewonnen wurden. Wirkstoffe aus dem Meer haben Wissenschaftlern zufolge ein vierfach höheres Potenzial für die Entwicklung von Medikamenten als andere Verbindungen natürlichen oder synthetischen Ursprungs. Die Entwicklung von Arzneimitteln werde jedoch durch zu langsame und kostenintensive Entwicklungsprozesse erschwert.
Isolierung der Moleküle ist komplex
Mithilfe modernster analytischer Verfahren in Kombination mit maschinellem Lernen, Bio- und Chemieinformatik gelang es dem Forschungsteam die neuen bioaktiven Bestandteile des in der Ostsee vorkommenden Blasentangs (Fucus vesiculosus) und eines Pilzsymbionten zu identifizieren. Sie könnten zur Bekämpfung von infektiösen Bakterien und Hautkrebs verwendet werden.
Damit marine Substanzen aufgespürt werden können, werden zuerst Makro- und Mikroorganismen extrahiert. Im zweiten Schritt erfolgt eine Reinigung und Charakterisierung neuer und bioaktiver chemischer Komponenten, die zukünftig für die Medikamentenentwicklung eingesetzt werden sollen. Eine immense Herausforderung in der Erforschung derartiger Wirkstoffe liegt in der Isolierung schon bekannter natürlicher Moleküle durch klassische bioaktivitäts-geleitete Isolierungsverfahren. Das liegt an der schwierigen Durchführung. Auch die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Fehlern kommt, ist hoch.
Innovative und zeitsparende Vorgehensweise
Die Wissenschaftler versuchten diese Schwierigkeit mithilfe von automatisierten, computergestützten Ansätzen ergänzt durch Bioaktivitäts-Screenings zu überwinden. Eine einjährige Studie hat ergeben, dass die analysierte Braunalge das Wachstum des pathogenen Bakteriums Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus (MRSA) bremst. Zahlreiche lebensbedrohliche Krankenhausinfektionen gehen auf MRSA zurück.
Die im Rahmen der Studie verwendeten Algorithmen bündeln die Wirkstoffe auf Basis ihrer in massenspektrometrischen Analysen identifizierten chemischen Überschneidungen in komplexen Netzwerken als Molekülfamilien. Maschinelle Lernwerkzeuge sorgen so dafür, dass bereits bekannte und neue Verbindungen schon im Extrakt chemisch identifiziert werden. Anschließend wird anhand von Bioinformatik der sogenannte Bioaktivitäts-Score der Moleküle auf Basis ihrer relativen Häufigkeit in den Fraktionen prognostiziert. Dann können die bioaktiven Verbindungen systematisch isoliert werden. Gewöhnlich würde der Prozess von der Extraktion bis zur Charakterisierung der bioaktiven Inhaltsstoffe der Alge mit den bislang bekannten Methoden stolze drei bis vier Jahre in Anspruch nehmen. Mithilfe von automatisierten Werkzeugen kann die Zeit für die Entdeckung neuer natürlicher Antibiotika allerdings auf einige Monate reduziert werden.
Molekülverbindungen könnten auch Menschen schützen
Auf Grund der Millionen Mikroorganismen im Meer steht Blasentang häufig unter enormem Bewuchs-Druck und Biofilmbildung. Somit sind membrangebundene Verbindungen wie die kürzlich gefundenen von hohem ökologischem Wert für die Alge. Mithilfe der Moleküle kann sie sich im natürlichen Lebensraum schützen. Auch gegen menschliche Krankheitserreger zeigen sie oftmals einen Effekt. Dies gab Studienautor Professor Deniz Tasdemir vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel im Rahmen einer Pressemitteilung an.
Blasentang kann bedenkenlos verzehrt werden, sodass er eine ideale und attraktive Quelle für Medikamente, Nahrungsergänzungsmittel und den Schutz von Lebensmitteln darstellt. Die Wissenschaftler haben als nächsten Schritt vor das Anwendungspotenzial von Blasentang in der Lebensmittelindustrie zu studieren.
Dieses Video erklärt, warum MRSA so gefährlich sind:
Algen-Pilz als Mittel gegen Hautkrebs?
In und auf Meeresalgen leben zahlreiche Pilze in Symbiose mit ihrem Wirt. Auch dies macht sie zu aussichtsreichen Forschungsobjekten für die Entdeckung und Entwicklung neuer Medikamente. Der Forschungsgruppe gelang es bereits mehr als 120 symbiotische Pilze aus dem Blasentang zu isolieren. Insbesondere die Pilzart Pyrenochaetopsis sp. wurde explizit untersucht, da dieser Hautkrebszellen vom Melanomtyp zerstört. Zugleich ist er ebenfalls wenig toxisch gegenüber normalen Hautzellen und verfügt über ein sehr reiches chemisches Inventar.
Professor Tasdemir zufolge war dies erst die zweite chemische Studie an der bislang vollkommen unerforschten Pilzart Pyrenochaetopsis. Pilze, die aus Blasentang gewonnen werden und solche, die im Labor herangezüchtet werden sind eine bekannte Quelle für Anti-Krebs-Mittel. Die neue Studie hat nun einige weitere innovative Substanzen aus der Natur mit einem hohen Potenzial zur Heilung von Hautkrebs ermittelt. Über die Hälfte jeglicher modernen Medikamente stammt aus der Quelle der Natur. Durch die revolutionären Genomik-, Bioinformatik- und maschinellen Lernwerkzeuge können neue Substanzen aus dem Meer in innovativen Verfahren nun schneller identifiziert und effizienter untersucht werden.
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