Mit steigenden Coronainzidenzen, auch unter Geimpften, und den sinkenden Temperaturen, die das Leben von draußen nach drinnen verbannen, werden die Stimmen für eine dritte Coronaimpfung lauter. Auch die Ständige Impfkommission (STIKO) sprach kürzlich für Personen über 70 sowie für andere Indikationsgruppen eine Empfehlung für eine Auffrischimpfung aus. Eine solche Booster-Impfung soll die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung weiter reduzieren und Impfdurchbrüche verhindern.
Nachlassender Impfschutz
Dass die Covid-19-Impfungen nicht nur sehr gut vor schweren Verläufen schützen, sondern auch Ansteckungen reduzieren, ist wissenschaftlich unumstritten. Und obwohl die Impfrate in Deutschland inzwischen bei 65 Prozent der Gesamtbevölkerung liegt, prognostizieren Wissenschaftler eine weitere Ansteckungswelle für den Herbst und Winter. Zudem häufen sich Berichte über Erkrankungen unter Immunisierten. Das hängt vermutlich damit zusammen, dass der Schutz vor Ansteckung und Erkrankung mit der Zeit nachlässt. So zeigte eine Studie aus Großbritannien kürzlich, dass sich der Schutz vor Virusweitergabe circa drei Monate nach Erhalt der zweiten Impfdosis deutlich reduziert.
Dies bedeutet aber keineswegs ein Versagen der Impfungen: Von Anfang an war klar, dass eine Immunität nicht ewig halten würde – die Frage war lediglich, wie lange. Das kennen wir bereits von der Grippeimpfung, die jährlich aufgefrischt werden muss. Das liegt allerdings unter anderem daran, dass sich das Influenzavirus stetig weiterentwickelt. Doch auch das sehen wir bei dem Coronavirus SARS-CoV-2: Die Impfungen wurden für den Wildtyp entwickelt; inzwischen ist in Europa jedoch die Delta-Variante die dominierende Form des Virus.
Vorsicht vor Fehlinterpretation
Um dem nachlassenden Schutz vor Ansteckung entgegenzuwirken, wird derzeit die Möglichkeit einer dritten Impfung diskutiert. So hat Israel bereits Ende Juli mit der Verteilung der Booster-Dosen begonnen. In Deutschland können sich seit kurzem über 70-Jährige, sowie Bewohner von Pflegeeinrichtungen und medizinisches Personal eine solche Auffrischung der Immunität spritzen lassen. Dieser Option wird eine hohe Wirksamkeit nachgesagt: Mediziner und Politiker Karl Lauterbach etwa berichtete von einem 10-fachen Schutz gegen Infektion oder schwere Erkrankung, basierend auf einer Studie, die kürzlich im Fachmagazin „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht wurde. Diese untersuchte die bisher zur Verfügung stehenden Daten aus Israel, wo Booster-Impfungen mit dem Präparat von BioNTech/ Pfizer für über 60-Jährige mindestens fünf Monate nach Erhalt der zweiten Dosis zugelassen wurden.
Zwei Prozent besserer Schutz
Dass die Wirksamkeit nicht ganz so hoch ist, wie die Daten der Studie aus Israel zunächst glauben lassen, erklärt das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) aus Essen in einer Mitteilung. Darin erläutert das Institut, dass es sich bei den Angaben der Studie um Infektionen pro Personentage, nicht etwa pro Person handelt. Personentage ergeben sich aus der Anzahl der Teilnehmenden multipliziert mit der Dauer der Untersuchung. Bei 10.000 Personen und einem Studienzeitraum von 30 Tagen kommt man also auf 30.000 Personentage. So zeigte die Studie eine Reduktion von Infektionen von 85 Fällen pro 100.000 Personentage auf nur 8 Fälle – also eine Verringerung um das zehnfache.
Das bedeutet allerdings nicht direkt eine Verzehnfachung des Impfschutzes, rechnet das Leibniz-Institut vor: Über den Zeitraum der Studie reduzierte eine Booster-Dosis die Anzahl der Infektionen von 255 auf 24. Verrechnet auf die Anzahl der Teilnehmenden ist das aber nur eine Erhöhung des Impfschutzes von zwei Prozentpunkten. Nichtsdestotrotz kann eine weitere Booster-Impfung sinnvoll sein, wenn man den nachlassenden Schutz vor Virusweitergabe bedenkt. Auch die Autoren der Israel-Studie stufen die Wirksamkeit der dritten Impfung als relevant ein. Gerade für gefährdete Personengruppen würde das Nutzen-Risiko-Verhältnis für eine dritte Impfung sprechen, befindet auch die STIKO.
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