Bipolare Störungen gehören zu den häufigsten psychiatrischen Erkrankungen: Allein in Deutschland sind etwa zwei Millionen Menschen betroffen. Ein internationales Forschungsteam untersuchte nun die genetische Basis der Erkrankung.
Suizidraten unter Betroffenen hoch
Die bipolare Störung ist charakterisiert durch extreme Schwankungen der Stimmung und des Antriebs. Dabei wechseln sich zwei extreme Pole ab: Auf Phasen der Manie oder Hypomanie folgen Phasen der Depression. Lange war die Erkrankung daher auch bekannt als manisch-depressive Erkrankung. Zwischen den Phasen kann es aber auch vorkommen, dass die Betroffenen keine Beschwerden haben. Das Risiko eines Suizids ist hoch bei Personen mit bipolarer Störung: Zwischen 25 und 50 Prozent aller Betroffenen versuchen mindestens einmal, sich das Leben zu nehmen. Wird die Erkrankung rechtzeitig erkannt, kann durch medikamentöse Behandlung eine Stabilisierung erreicht werden.
64 neue Risikoregionen entdeckt
Um besser zu verstehen, warum sich eine bipolare Störung entwickelt, untersuchte ein internationales Forschungsteam in einer Genom-Assoziationsstudie die Krankheit genauer. Dafür sequenzierten sie die DNA von 415.000 Menschen, wovon mehr als 40.000 die psychische Erkrankung hatten, und suchten nach Gemeinsamkeiten unter den von bipolarer Störung Betroffenen. Dabei identifizierten sie 64 Genomsequenzen als Risikofaktoren für die Krankheit. Die Ergebnisse veröffentlichten sie kürzlich im Fachmagazin „Nature Genetics„.
Beeinflussung der Signalübertragung im Gehirn
Bei ihren Analysen fanden die Forschenden heraus, dass einige der involvierten DNA-Variationen an der Kommunikation zwischen Gehirnzellen und an der Kalzium-Signalübertragung beteiligt sind. „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Medikamente wie Kalziumkanalblocker, die bereits zur Behandlung von Bluthochdruck und anderen Erkrankungen des Kreislaufsystems eingesetzt werden, als potenzielle Behandlungen für die bipolare Störung untersucht werden könnten. „Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass zukünftige Forschung zur direkten Beurteilung der Wirksamkeit dieser Medikamente unerlässlich ist“, erklärt Niamh Mullins, Assistenzprofessorin für psychiatrische Genomik an der Icahn School of Medicine am Mount Sinai und Hauptautorin der Studie.
Gemeinsamkeiten mit Schizophrenie und Depression
„Es ist bekannt, dass die bipolare Störung eine wesentliche genetische Grundlage hat, und die Identifizierung von DNA-Variationen, die das Risiko erhöhen, kann Einblicke in die zugrundeliegende Biologie der Erkrankung geben“, so Mullins. Die Studie deckte außerdem genetische Überschneidungen der bipolaren Störung mit anderen psychiatrischen Erkrankungen auf. Zudem bestätigte die DNA-Sequenzierung die Unterteilung der Störung in zwei Subtypen. Bipolar I zeigte dabei mehr genetische Gemeinsamkeiten mit Schizophrenie, während Typ II eher der schweren Depression ähnelte. Weitere Studien sind nötig, um die für bipolare Störungen typischen Gene auch in anderen Regionen der DNA zu erkennen.
Grundstein für neue Behandlungen
Ole Andreassen, Professor für Psychiatrie am Institut für klinische Medizin und Universitätsklinikum Oslo und Hauptautor der Studie, resümiert: „Durch diese Arbeit haben wir einige spezifische Gene und DNA-Variationen priorisiert, die nun in Laborexperimenten weiterverfolgt werden können, um die biologischen Mechanismen besser zu verstehen, durch die sie das Risiko für eine bipolare Störung erhöhen.“ Das Forschungsteam hofft, dass die Studienergebnisse die Entwicklung neuer Behandlungsmöglichkeiten vorantreiben. Alternativ könnten die Erkenntnisse auch bei der Entwicklung individuell angepasster Therapien helfen, sogenannter personalisierter Medizin. Zudem könnten Genomanalysen dazu genutzt werden, Personen mit erhöhtem Risiko zu identifizieren, um frühzeitig intervenieren zu können.
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