Wer kennt es nicht? Die Zeit vergeht wie im Flug während eines interessanten Gesprächs mit dem besten Freund, beim Warten auf den Bus zieht sie sich aber endlos hin… Aber wo genau nehmen wir die Zeit eigentlich in unserem Körper wahr? Im Kopf, im Herz oder in den Beinen? Ein bestimmtes Organ, welches die subjektive Zeitwahrnehmung kodiert, gibt es nicht. Genau dies macht es auch so schwierig, sie zu fassen. Zudem verändert sich das Zeitempfinden, sobald wir darüber nachdenken.
Fieber dehnt die Zeit
Mit Fieber im Bett zu liegen empfinden vermutlich die wenigsten als angenehm. Wenige Minuten fühlen sich dann oft an wie Stunden. Diesen Zusammenhang hat der US-Wissenschaftler Hudson Hoagland Anfang der 1930er Jahre genauer überprüft: Jedes Mal, nachdem er die Temperatur seiner kranken Frau gemessen hatte, ließ er sie die Zeitspanne von einer Minute abschätzen. Das Ergebnis: Für Anna Hoagland vergingen die Minuten fast doppelt so langsam wie für ihren gesunden Mann. Wenn tatsächlich erst 60 Sekunden verstrichen waren, fühlte es sich für sie schon wie 2 Minuten an. Hoagland erklärte sich dies durch die erhöhte physiologische Aktivität beim Fieber. Dies lässt die innere Uhr schneller ticken, was die Zeit subjektiv betrachtet dehnt. Unser Zeitempfinden scheint also tatsächlich damit zusammenzuhängen, was in unserem Körper passiert.
Je schneller die Zeit vergeht, desto höher die kognitiven Leistungen
Gefühlt besonders schnell scheint die Zeit zu vergehen, wenn wir uns auf eine bestimmte Aufgabe konzentrieren oder eine Tätigkeit besonders gerne machen. Mehrere Untersuchungen haben bereits gezeigt, dass unsere subjektive Zeitwahrnehmung durch kognitive Prozesse und auch emotionale Ereignisse beeinflusst wird. Forschende der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz haben nun herausgefunden, dass dieser Zusammenhang auch umgekehrt gilt: Wenn sich der Zeiger der Uhr schneller bewegt, steigt unsere kognitive Leistung, unser Gehirn zeigt erhöhte Aktivität und Aufmerksamkeit. Kurz gesagt: Je schneller die Zeit zu vergehen scheint, desto schneller können wir auch denken.
In besagtem Experiment mussten die 30 Testpersonen am Computer komplexe Denkaufgaben lösen. Nebenbei wurde am Bildschirm die Uhrzeit eingeblendet. Im Versuchsverlauf manipulierte das Forscherteam die Uhr, sodass die angezeigte Zeit um 20 Prozent schneller bzw. langsamer verging. Beim Analysieren der Hirnaktivität mittels Elektroenzephalografie (EEG) zeigte sich: Die Testpersonen mit der „schnelleren“ Uhr arbeiteten konzentrierter. Ihre durchschnittliche Anzahl an korrekten Lösungen war im Vergleich deutlich höher. Dieser Effekt trat ein, obwohl keiner der Versuchspersonen die manipulierte Zeit bemerkt hatte. Damit belegen die ermittelten Daten klar, wie sehr Zeitwahrnehmung, Aufmerksamkeit und kognitive Prozesse im Gehirn verwoben sind, so die Forscher.
Verändertes Zeitbewusstsein durch Meditation
Seit einigen Jahren wird verstärkt über die Effekte von Meditation geforscht. Anhand dessen lässt sich das persönliche Zeitempfinden besonders gut untersuchen, denn bei der Meditation geht es um Aufmerksamkeit, Achtsamkeit für die eigene Körperwahrnehmung und folglich auch um das Zeiterleben. Wenn äußere Reize so weit wie möglich reduziert sind, richtet sich unser Bewusstsein auf das Innere. Wir nehmen Körpervorgänge intensiv wahr und konzentrieren uns auf den Atem. Dadurch erleben wir den Zeitverlauf subjektiv langsamer – die Zeit dehnt sich gefühlt.
Das Ich in der Zeit
Aus Studien mit Meditierenden – unter anderem aus Forschungen vom Bender Institute of Neuroimaging der Universität Gießen – weiß man, dass die sogenannte Inselregion im Hirn kurzfristig stärker aktiv wird, wenn die Probanden sich in der Meditation auf ihren Körper fokussieren. Die Inselregion ist wesentlich daran beteiligt, alle Empfindungen des Körpers und Emotionen wie Wut, Trauer und Freude permanent zu einem Gesamtzustand zu vereinen. Unter anderem durch diese neuronale Aktivität entsteht ein Ich, das sich des Selbst und seiner Präsenz in Raum und Zeit bewusst ist. Diese Ich-Vorstellung und das Zeiterleben gehen somit Hand in Hand. Für die zukünftige Forschung bedeutet das, sich verstärkt an der Verwobenheit von Körperselbst und Bewusstsein zu orientieren. Denn vor allem in diesem Kontext muss Zeit betrachtet werden, um ihre Wahrnehmung verstehen zu können.
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