Seit Monaten kursiert die stärkste jemals dokumentierte H5-Influenzawelle bei Vögeln. Obwohl sich bislang überwiegend Tiere mit dem Virusstamm ansteckten, wurden vereinzelt auch menschliche Infektionen erfasst. Experten fordern daher geeignete Vorsichtsmaßnahmen, um das Risiko einer Pandemie weitestgehend zu reduzieren. Angesichts der aktuellen Entwicklungen erklärte sich ein weltweit führender Impfstoffhersteller nun dazu bereit, bei Bedarf innerhalb weniger Monate Millionen von Vakzinen für Menschen zu produzieren.
Massensterben in der Tierwelt
In den vergangenen Tagen berichten Experten aus Peru, Chile, den USA und Kanada von beunruhigenden Ereignissen in der Tierwelt: Immer mehr Seelöwen und Kegelrobben fallen der sogenannten aviären Influenza zum Opfer. Allein in Peru verstarben bereits 3.500 Seelöwen an der verhängnisvollen Infektion. Am tödlichsten verläuft die Erkrankung jedoch für Vögel. Die peruanische Nationalparkverwaltung dokumentierte 63.000 tote Meeresvögel in Nationalparks und geschütztem Inselgebiet – Schätzungen zufolge liegen die Dunkelziffern jedoch weit höher. Auch vor Europa macht der neu entdeckte Virusstamm H5N1 nicht halt: So wurden bereits mehrere Infektionen bei Mardern, Ottern, Rotfüchsen und Iltissen gemeldet.
Infektionsrisiko bei Menschen bislang gering
Menschliche Ansteckungen gelten nach wie vor als selten: Weltweit bestätigten nationale Gesundheitsbehörden, dass das Risiko einer Übertragung von Mensch zu Mensch weiterhin gering ist. Die aktuellen Entwicklungen geben Forschern dennoch Grund zur Sorge: „Die Tatsache, dass das Virus nicht nur bei Vögeln, sondern auch bei Säugetieren vorkommt, bedeutet, dass es ein potenzielles Risiko für die Öffentlichkeit darstellt“, erläutert Pilar Ayala, Biologin des peruanischen Wildtierdienstes Serfor. „Es wird derzeit bei verschiedenen Säugetierarten beobachtet, daher müssen wir Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, um eine weitere Pandemie für den Menschen zu verhindern.“
Potenzielle Übertragungswege näher untersucht
Um die Übertragungswege des Virus näher zu ergründen, analysierten Experten der Tufts University in Medford Proben von kranken, toten, aber auch gesunden Tieren, die sich zuvor mit dem Krankheitserreger infiziert hatten. Die Forscher stellten fest, dass sich die Tiere unter anderem durch den Kontakt mit Exkrementen von infizierten Artgenossen anstecken. Auch der Verzehr infizierter Kadaver stelle ein erhebliches Ansteckungsrisiko dar. Darüber hinaus veranschaulichten die Ergebnisse, dass eine Infektion mit dem H5N1-Virusstamm bei Wasservögeln beinahe in 100 Prozent der Fälle tödlich verläuft. Die Experten vermuten, dass dies ebenso auf Säugetiere zutreffen könnte: Sämtliche Robben, die positiv auf den Erreger getestet wurden, waren zum Zeitpunkt der Untersuchung bereits tot oder verstarben kurz darauf an den Folgen der Erkrankung.
Aktuell untersuchen die Mediziner, ob das Pathogen zwischen Robben übertragen werden kann. Ein derartiger Infektionsweg zwischen Säugetieren würde auch mit einem erhöhten Risiko für Menschen einhergehen – konkrete Belege für diese Hypothese gibt es bislang jedoch nicht.
Entscheidende Fortschritte bei Impfstoffentwicklung
Angesichts der aktuellen Entwicklungen forschen die drei größten Impfstoffhersteller Moderna, CSL Seqirus und GSK bereits an geeigneten Impfstoffen für den Menschen. Momentan entwickeln die Fachleute ein Vakzin, das an den vorherrschenden Virus-Subtyp angepasst wird und somit im Fall einer Pandemie effektiven Schutz gewährleisten sollte. Schon in naher Zukunft könnte der Impfstoff an Menschen getestet werden. Der französische Pharmakonzern Sanofi ist laut eigenen Angaben in der Impfstoffentwicklung bereits weiter fortgeschritten: So verkündet das Unternehmen, bei Bedarf direkt mit der Impfstoffproduktion beginnen zu können. Dieser Schritt sei dank gelagerter H5N1-Impfstoffstämme möglich. Darüber hinaus streben mehrere Konzerne die Entwicklung eines Vakzins für Geflügel an, um neue Marktanteile zu erschließen.
Ungerechte Vakzin-Verteilung?
Trotz der vielversprechenden Fortschritte in der Impfstoffentwicklung äußern Gesundheitsexperten Bedenken: Aufgrund langjähriger Lieferverträge würden in erster Linie wohlhabende Länder die Vakzine für sich beanspruchen, obwohl vor allem Entwicklungsländer mit mangelhaften Gesundheitssystemen im Fall einer Pandemie dringend auf Impfstoffe angewiesen wären. „Wir könnten bei einem Grippeausbruch ein viel größeres Problem mit Impfstoffhortung und Impfstoffnationalismus haben, als wir es bei Covid-19 gesehen haben“, so der Epidemiologe Richard Hatchett. Der Experte ist Geschäftsführer der Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI) – einer Stiftung, die schon seit Jahren in die Impfstoffforschung investiert.
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