Forscher der MedUni Wien haben herausgefunden, welcher Mechanismus die Erkrankung an Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) oder Lyme-Borreliose, durch den Biss einer Zecke erhöht. FSME ist eine Virusinfektion, die eine Entzündung des Gehirns und der Hirnhäute hervorruft. Die Risikogebiete Deutschlands sind Baden-Württemberg, Bayern, Südhessen sowie im südöstlichen Thüringen, vereinzelt auch in Mittelhessen (Landkreis Marburg-Biedenkopf), Rheinland-Pfalz (Birkenfeld), Sachsen (Vogtlandkreis) und dem Saarland (Saar-Pfalz-Kreis). Die Ausbreitung des FSME-Virus wird hauptsächlich durch kleine Säugetiere wie Mäuse begünstigt und über infizierte Zecken auf Menschen übertragen. Die Inzidenzen der Viruserkrankung steigen im Frühjahr und Sommer, wobei auch im Herbst vereinzelnde Fälle beobachtet werden können.
Zecken verbreiten Krankheiten
Angesichts der stetig steigenden Temperaturen, die durch den Klimawandel hervorgerufen werden, entfernen sich Tierarten immer weiter in den Norden. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit gefährliche oder sogar lebensbedrohliche Krankheiten auf den Menschen zu übertragen. Die Zecke ist der größte Verbreiter von Erkrankungen innerhalb Europas. Allein in Deutschland werden jährlich mehr als 100.000 Menschen mit FSME oder Lyme-Borreliose infiziert.
Bekannt ist bereits, dass ein Zeckenbiss einen potenziellen Übertragungsweg für die oben genannten Krankheiten darstellt und die Erreger sich, mithilfe des Zeckenspeichels, einen Weg in die Blutbahn schaffen können. Es war jedoch unklar, wie es den Pathogenen möglich war, durch solch eine Übertragungsart, auch eine Infektion auszulösen. Da das körpereigene Immunsystem Erreger, welche über eine Wunde in den Körper eindringen, rasch bekämpfen können sollte.
Untersuchungen an Probanden und einem Hautmodell
Erstautorin Dr. Johanna Strobl und Teamleiter Georg Stary, untersuchten mit ihrer Studie die Reaktion des Immunsystems auf Zeckenbisse genauer. Dabei verwendeten die Forscher Hautproben menschlicher Probanden sowie ein menschliches Hautmodell. Die Wissenschaftler arbeiteten mit Hautmodellen aus Operationen, bei denen größere Hautstücke entfernt wurden. In beide Proben wurde Zeckenspeichel der Zeckenart Ixodes ricinus injiziert. Als das Team die verschiedenen Immunzellarten untersuchte, konnte ein rasch auftretendes Muster der Immunmodulation festgestellt werden.
Immunzellen in ihrer Funktion gestört
Die Forscher entdeckten, dass besonders die Funktion der T-Zellen im Bereich der Bissstelle, durch die Injektion des Zeckenspeichels, gestört wurde. Die T-Zellen gehören zur Zellgruppe der Lymphozyten und spielen eine ausschlaggebende Rolle bei der Immunabwehr. Das Experiment zeigte, dass das Ansaugen der Zecke enorme Veränderungen des Immunsystems der Haut auslöst und die Abwehrreaktion hemmt. Daraus resultiert, dass sich gefährliche Pathogene, welche durch den Zeckenspeichel in die Haut aufgenommen werden, leichter vermehren und somit zu einer Infektion führen können.
Ebenfalls gestört durch den Zeckenspeichel wurden T-Helferzellen, eine Untergruppe der T-Zellen, die durch ihre Botenstoffe lokale Immunreaktionen steuern. Weiters konnte eine Reduktion der Anzahl an Zytokinen festgestellt werden. Diese sind Botenstoffe, welche bei einer Reaktion des Immunsystems gebildet werden und bestimmte Abwehrzellen aktivieren können. Ebenfalls betroffen sind Zellen, die zur Bildung eines immunologischen Gedächtnisses beitragen.
In bereits durchgeführten Experimenten konnte das Forschungsteam beweisen, dass sich Borrelien, welche mit Zeckenspeicheldrüsenextrakt vorinkubiert waren, stärker in der Haut ansiedelten und dabei die Ansammlung von Immunzellen unterdrückten. Borrelia burgdorferi, auch Borrelien genannt, sind Bakterien, welche Lyme-Borreliose verursachen.
Es wurden bereits etliche Komponenten aus Zeckenspeichel einzeln untersucht. Der neue Ansatz der Wissenschaftler war es jedoch, die Gesamtheit der Wirkung des Zeckenspeichels zu analysieren, da die einzelnen Zusammensetzungen in der Natur nicht isoliert auftreten.
Votucalis – der wirkungsvolle Extrakt des Zeckenspeichels
Votucalis, andere bekannte Proteine und deren Wirkungen, wurden von britischen Forschern aus dem Speichel der „Braunen Ohrzecke“ (Rhipicephalus appendiculatus) isoliert. Dieses Protein kann der Synthese für die Entwicklung eines Wirkstoffs gegen Juckreiz und neuropathischen Schmerzen dienen. Brasilianische Forscher entdeckten Amblyomin-X im Speichel mittel- und südamerikanischer Zecken, welches bei Pferden gegen bösartige Hauttumore wirkt – und auch die Ergebnisse der österreichischen Forschungsgruppe könnten für die Entwicklung von entzündungshemmender, oder anderer immunmodulatorischer Wirkstoffe von Nutzen sein, meint Dr. Strobl.
Gibt es schon bald Impfungen gegen Zecken?
Mit den Erkenntnissen über die Immunmodulation, schlagen die Forscher vor, Zeckenspeichel bei weiteren Entwicklungen für sogenannte „Anti-Zecken-Impfstoffe“ zu nutzen, die unter anderem momentan auf mRNA-Basis in der Erforschung sind. Frau Dr. Strobl ist der Meinung, dass zukünftige Ansätze für Impfungen gezielt die jeweiligen Zellarten ansprechen sollen, welche nicht durch den Zeckenspeichel gehemmt werden, damit eine bessere Wirksamkeit erzielt werden kann.
Das nächste Forschungsziel des Teams sind die Untersuchung der Auswirkungen von Zeckenspeichel auf die Bildung des immunbiologischen Gedächtnisses in der Lyme-Borreliose.
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