Bei Patienten mit einem geschwächten Immunsystem wird schon länger die Antikörper-Therapie eingesetzt, um die Heilungschancen zu erhöhen. Dabei vermuteten Ärzte aber eine erhöhte Gefahr der Mutation, da die Viren bei Betroffenen bessere Überlebenschancen haben. Nun konnte eine britische Studie nachweisen, wie sich bei einem Chemotherapie-Patienten mehrere Virusmutationen in nur wenigen Monaten bildeten.
Stärkste Varianten setzen sich durch
Bei einer Antikörper-Therapie werden Antikörper eines Genesenen mittels Serum an immungeschwächte Patienten verabreicht. Das hilft zwar in manchen Fällen das Virus zu besiegen, mitunter überleben aber stärkere Versionen, die sich gegen die Abwehrzellen besser durchsetzen können. Vermutet wird auch, dass der gleiche Effekt eintritt, wenn eine herkömmliche Impfung nur ungenügend wirkt. Das würde ebenfalls die Mutation des Virus weiter befeuern und einen Selektionsdruck auslösen.
Langzeitbeobachtung zeigt mehrere Mutationen
Der Patient, an dem die Mutationen beobachtet werden konnten, war 70 Jahre alt und litt an einer Tumorerkrankung des Lymphsystems in den Schleimhäuten. Aufgrund der Krebserkrankung wurde er mit einer Chemotherapie behandelt, was in Folge sein Immunsystem geschwächt hat. Dadurch wurde eine Behandlung mit Antikörpern erforderlich. Zuerst stabilisierte sich sein Zustand noch, doch aufgrund der fehlenden eigenen Immunzellen verschlechterte sich dieser zusehends. 101 Tage lang konnten dann die Ärzte den Verlauf der Infektion verfolgen, bevor er aufgrund der Folgen schließlich verstarb. Dabei sequenzierten sie die Genome des Virus aus insgesamt 23 Proben, um die Mutationen des Virus nachvollziehen zu können.
Evolution hautnah
Bei der Analyse der Proben zeigte sich eine erstaunliche Evolution der Coronaviren durch den Einfluss der Antikörper-Therapie. Eine Virusvariante, die eine Änderung am Spike-Protein aufwies, setzte sich erst bei der dritten Behandlungsrunde mit Antikörpern am Ende gegen die anderen Viruskontrahenten durch. Davor hielt diese sich zahlenmäßig eher im Hintergrund. Diese Variante wies vor allem Mutationen des Spike-Proteins auf, das momentan das erklärte Hauptziel von Impfungen gegen SARS-CoV-2 ist. Dadurch könnten Impfstoffe nicht mehr so gut an das Virus andocken, auch im Körper gebildete Antikörper standen vor demselben Problem. Folglich wird die Virusmutation resistenter und kann eine erneute Infektion, auch bei bereits Genesenen, auslösen. „Was wir gesehen haben, war im Wesentlichen ein Wettbewerb zwischen verschiedenen Virusvarianten und wir denken, dass dieser Wettbewerb durch die Serumtherapie angeheizt wurde“, fasst Studienautor Ravi Gupta zusammen.
Vorsichtigere Behandlung bei immungeschwächten Patienten
Daraus lässt sich für die Forscher schlussfolgern, dass bei immungeschwächten Patienten mehr Vorsicht geboten sei. Denn bei Betroffenen mit intaktem Immunsystem sei es eher unwahrscheinlich, dass das Virus derart schnell mutiere. Hier setzen in der Regel sofort die körpereigenen zytotoxischen T-Zellen ein, die die Antikörper zusätzlich unterstützen. Diese Kombination besiegt die meisten Virusinfektionen mit SARS-CoV-2 innerhalb weniger Wochen. Bei immungeschwächten Patienten fehlen aber diese Zellen oder sind nur in geringem Maße vorhanden, was die Infektion oft hinauszögert oder chronisch macht.
Beunruhigend seien aber die gewonnen Erkenntnisse der beobachteten Mutationen: „Angesichts der Tatsache, dass sowohl Impfstoffe als auch Therapeutika sich gegen das Spike-Protein richten, das in unserem Patienten mutiert war, macht unsere Studie die beunruhigende Option wahrscheinlicher, dass das Virus die Impfstoffe überlistet, indem es entsprechend mutiert“, meint dazu Gupta. Damit wird noch wahrscheinlicher, dass eine Anpassung der Impfstoffe immer wieder notwendig sein wird, falls die Pandemie nicht rechtzeitig bekämpft wird.
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