In Deutschland erleiden jedes Jahr etwa 280.000 Menschen einen Herzinfarkt. Wird dieser überstanden, folgt die Rehabilitation. In der Klinik bekommen die Patienten ein individuelles Sportprogramm, ärztliche Betreuung, Schulungen zu Lebensstil- und Ernährungsumstellung und Hinweise zur Kontrolle von Risikofaktoren. Durch die Unterstützung fühlen die Betroffenen sich schnell wieder fit und belastbar. Doch wenn sie die Klinik verlassen, entfällt die klare Struktur und Versorgung.
Patienten plötzlich allein
Zurück im Alltag ist die Situation eine andere. Das Reha-Team ist meist nicht Teil der Nachsorge, und die Motivation, den neu erworbenen Lebensstil beizubehalten, schwindet. Gleichzeitig nimmt die Angst vor einem weiteren Infarkt zu. Doch die koronare Herzkrankheit ist eine lebenslange, chronische Erkrankung, die auch nach Wochen der Rehabilitation nicht unterschätzt werden sollte. Um die Prävention nach dem Klinikaufenthalt fortzuführen, müssten Patienten lernen, die Vorsorge in den Alltag zu integrieren und sie selbstständig fortzuführen.
Ein aus verschiedenen Fachrichtungen zusammengestelltes Team der Universität Witten/ Herdecke geht dieses Problem an. „Grundsätzlich ließen sich diese Hürden in der Versorgung bereits heute durch technologische Innovationen im eHealth-Bereich, also mittels digitaler Technologien im Gesundheitswesen, überwinden“, sagt Dr. Boris Schmitz, der zusammen mit Prof. Dr. Frank Mooren das Projekt „TIMELY“ leitet. Das Team arbeitet daran, bereits existierende Angebote nutzbar zu machen, um Patienten nach der Reha eine optimale Unterstützung bieten zu können. „Dabei wollen wir sie zunächst in die Lage versetzen, ihre Erkrankung täglich selbst zu managen“, erläutert Prof. Mooren.
Ehealth soll Betreuung ersetzen
Die Herausforderung sei es, sowohl den Patienten als auch dem medizinischen Personal Zugriff zu aktuellen Gesundheitsdaten zu ermöglichen – jederzeit. Um das auch außerhalb der Klinik zu gewährleisten, setzt das Forschungsteam auf moderne Technik zur Überwachung von Vitalparametern. Zentraler Bestandteil der Ausstattung ist dabei ein EKG-Pflaster, das Daten zur Herzfunktion automatisch und kabellos auf einen gesicherten Server überträgt. Dafür wird der 5×5 Zentimeter große Klebestreifen den ganzen Tag über mehrere Wochen getragen, auch beim Sport. Außerdem kommen für die Überwachung des Gesundheitszustandes Blutdruckmesser, Blutzuckergeräte und auch Fitnessarmbänder zum Einsatz. Die gemessenen Werte werden dann auf einer Plattform zusammengefasst. Des Weiteren sollen Chat-Bots den Nutzern helfen, eine Kommunikation mit der Plattform aufzubauen. „Auf der Nutzeroberfläche der Anwendung werden die Daten aufgearbeitet und auch bewertet. Auch Verbesserungen in der Fitness und erreichte Ziele können dargestellt werden“, so Prof. Mooren.
Smarte Unterstützung mit Potential
Auf der Basis der erhobenen Daten berechnet TIMELY das individuelle Risiko für das Fortschreiten der Erkrankung und für schwerwiegende Ereignisse wie einen Herzinfarkt. Wenn die Anwendung ein erhöhtes Risiko bemerkt, steuert sie direkt mit angepassten Maßnahmen gegen. Bei geringen Veränderungen würde sie mehr gesundes Verhalten fördern, sollten die Werte aber zu stark abweichen, wird medizinisches Personal benachrichtigt.
„Das TIMELY-Projekt hat das Potenzial, einen völlig neuen Umgang mit chronischen Erkrankungen zu ermöglichen“, findet Dr. Schmitz. Die smarte Lösung erlaubt es Betroffenen, eigenständig über ihren Gesundheitszustand informiert zu bleiben und rechtzeitig Hilfe aufzusuchen, sollten sie diese benötigen. Außerdem ermöglicht sie die Integration der Vorsorge in den Alltag und schließt somit eine Lücke in der Versorgung von Patienten mit Herzerkrankungen.
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