Das Immunsystem soll uns vor Erregern schützen. Dafür muss es zwischen fremden und körpereigenen Zellen unterscheiden können. In den meisten Fällen funktioniert dies sehr gut, bei Autoimmunerkrankungen läuft dabei allerdings etwas schief: Der Körper stuft eigene Zellen als fremd ein und bildet Antikörper, um die vermeintlichen Erreger zu bekämpfen. Therapien gegen diese Art von Krankheit verfolgen meist den Ansatz der Immunsuppression. Oft reicht aber auch eine extreme Unterdrückung des Immunsystems nicht, um die Krankheit zu stoppen. Doch der Fall einer jungen Frau aus Erlangen bringt nun neue Hoffnung für Betroffene.
Diagnose Lupus
Als Thu-Thao V. 2017 Gelenkschmerzen und roten Gesichtsausschlag bekam, war sie gerade einmal 16 Jahre alt. Nach mehreren ärztlichen Untersuchungen folgte die Diagnose: Systemischer Lupus erythematodes (SLE). Das Immunsystem der Teenagerin griff eigene Körperzellen in verschiedenen Organen an. Doch auch immununterdrückende Therapien halfen nicht gegen die lebensbedrohliche Autoimmunerkrankung. Im März 2021 behandelten Forschende des Deutschen Zentrums Immuntherapie in Erlangen die inzwischen 20-Jährige mit einer neuartigen Therapie, die mit sogenannten CAR-T-Zellen arbeitet. Fast ein halbes Jahr später sind sie sich sicher: Der Organismus der jungen Frau hat sich komplett erholt. „Ich kann sogar wieder normal Sport machen“, freut sich Thu-Thao V. Die Ergebnisse der Fallstudie veröffentlichten die Forschenden kürzlich im „New England Journal of Medicine„.
Wenn das Immunsystem verrückt spielt
Lupus erythematodes ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung, die vor allem junge Frauen betrifft. Dabei wird zwischen zwei Hauptformen unterschieden: Kutaner Lupus erythematodes (CLE) und Systemischer Lupus erythematodes (SLE). Bei CLE treten typischerweise nur schmetterlingsförmige Hautveränderungen auf, vor allem um die Augen herum. SLE befällt zusätzlich die inneren Organe und löst zum Beispiel Nierenentzündungen, Gelenkschmerzen oder Entzündungen von Lunge und Herz aus. „Beim SLE spielen Teile des Immunsystems verrückt und bilden Antikörper gegen die eigene Erbsubstanz, was unweigerlich zu schweren Entzündungsreaktionen in den Organen führt”, erklärt Prof. Dr. Georg Schett, Direktor der Medizinischen Klinik 3 – Rheumatologie und Immunologie des Uni-Klinikums Erlangen.
Kein Erfolg mit herkömmlichen Therapien
In der schlimmsten Phase ihrer Erkrankung musste Thu-Thao V. fast 20 Tabletten pro Tag schlucken. Nur so konnten die Auswirkungen der Autoimmunerkrankung kompensiert werden. „Zu den Gelenkschmerzen kamen auch Wassereinlagerungen durch meine Niereninsuffizienz, starkes Herzklopfen und Haarausfall. Nach einem akuten Schub waren die Beschwerden besonders schlimm“, erinnert sich Thu-Thao V. Keine der herkömmlichen Therapien schlug an bei der jungen Frau. Prof. Dr. Gerhard Krönke, Oberarzt der Medizin 3, sagt: „Wir standen mit dem Rücken zur Wand.“ Daher wandten sie sich einer neuartigen Behandlung zu: Den CAR-T-Zellen. „‚CAR‘ steht für den ‚chimären Antigenrezeptor‘ und bezeichnet einen künstlichen Rezeptor“, erklärt Prof. Dr. Andreas Mackensen. „Immunzellen, also T-Zellen der Patientin, wurden im Labor mithilfe eines gentechnischen Verfahrens mit dem CAR ausgestattet. Dieser erkennt spezielle Antigene auf der Oberfläche der Zielzellen und zerstört diese. Die Zelltherapie mit CAR-T-Zellen wird bei der Behandlung von Leukämie und Lymphdrüsenkrebs bereits erfolgreich eingesetzt.“
Sofortige Besserung der Beschwerden
Im Falle von Thu-Thao V. wurde den CAR-T-Zellen beigebracht, gezielt die Immunzellen zu bekämpfen, die Antikörper gegen körpereigene Zellen bildeten. Diese erhielt die SLE-Patientin dann im März dieses Jahres. „Wir waren sehr überrascht, wie schnell sich ihr Zustand unmittelbar nach der Zellinfusion besserte“, berichtet Prof. Dr. Dimitrios Mougiakakos, Oberarzt der Medizin 5. „Die CAR-T-Zellen haben ihre Aufgabe ausgezeichnet erledigt und haben die krankheitsvermittelnden B-Zellen rasch zerstört. Zusammen mit den Antikörpern gegen die eigene Erbsubstanz verschwanden auch alle Krankheitssymptome des SLE.“
Meilenstein in der Therapie von Autoimmunerkrankungen
Die Patientin ist nun auf keine immununterdrückenden oder antientzündlichen Medikamente mehr angewiesen. Seit fast einem halben Jahr ist Thu-Thao V. zudem beschwerdefrei, es gibt keine Hinweise auf eine Rückkehr der Erkrankung. „Ich kann endlich wieder richtig atmen und durchschlafen, außerdem habe ich keine Wassereinlagerungen mehr und die Rötungen im Gesicht sind verschwunden. Auch meine Haare wachsen schon deutlich dichter“, sagt Thu-Thao V. Auch ihre Herzfunktion hat sich normalisiert. „Wir sehen dies als Meilenstein in der Therapie von Autoimmunerkrankungen“, erklären die beteiligten Forscher. Eine klinische Studie mit CAR-T-Zellen bei Autoimmunerkrankungen ist nun in Planung.
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