Industrie vor Gesundheit – so lautet der zentrale Vorwurf, den Frankfurter Suchtforscher in ihrem aktuellen Bericht äußern. Die Experten kritisieren die vorherrschende Drogenpolitik sowie fehlende Präventionsmaßnahmen aufs Schärfste. Gleichzeitig präsentieren sie konstruktive Alternativmöglichkeiten.
Verheerende Kontrollpolitik
Der Hauptkritikpunkt betrifft Deutschlands Alkohol- und Tabakkontrollpolitik. Diese würde sich zulasten der öffentlichen Gesundheit stark an industriellen Maßnahmen orientieren. Die Auswirkungen dieser Politik spiegeln sich im Handel wider. Seit 2010 sinkt der Preis alkoholischer Getränke fast jedes Jahr – mit fatalen gesundheitlichen Folgen: pro Jahr sterben 74.000 Menschen an Alkohol. Dem Bericht zufolge hätten zahlreiche Krankheits- und Todesfälle durch eine gesundheitsfördernde Besteuerungspolitik vermieden werden können. Um eine bessere Regulierung des Alkoholkonsums zu erreichen, fordern die Forscher einen Mindestpreis für alkoholische Getränke. Außerdem wird die Tabakprävention stark angeprangert – der Staat würde zwar Tabakprodukte ausreichend besteuern, jedoch die Einnahmen kaum in präventive Maßnahmen investieren. Auch hier verzeichnet Deutschland einen traurigen Rekord: 127.000 Menschen sterben jährlich an tabakbedingten Erkrankungen, 97 Milliarden Euro fließen in die Behandlung von Folgeerkrankungen.
Kriminalisierung ist kontraproduktiv
Die aktuelle Drogenprävention durch Strafverfolgung sei laut Dirk Schäffer, Drogenreferent der Deutschen Aidshilfe, der falsche Weg: „Solange man den Erwerb und Besitz von Drogen zum Eigengebrauch mit dem Strafrecht ahndet, werden damit unweigerlich die Erfolge von Beratung, Behandlung und Schadensminderung konterkariert.“ Viel sinnvoller sei es, den Fokus auf die vermehrte Ausbildung von Medizinern im Suchtmittelbereich zu legen und ausreichend Weiterbildungsmöglichkeiten anzubieten. Damit eine effiziente Therapie Suchtkranker sichergestellt werden kann, bedarf es einer intensiven Kooperation zwischen Ärzten, Beratungsstellen und Betroffenen.
Weniger Drogentote durch Naloxon
Das Institut für Suchtforschung befürwortet den vermehrten Einsatz des Notfallmedikaments Naloxon. Hierbei handelt es sich um ein leicht anzuwendendes Medikament in Form eines Nasensprays, das die atemlähmende Wirkung gewisser Suchtsubstanzen wie Heroin oder Methadon außer Kraft setzen kann. Ziel sei es, Mitarbeiter in Aids- und Drogenhilfsanstalten für die lebensrettende Wirkung des Medikamentes zu sensibilisieren, damit diese Drogenkonsumenten über den korrekten Gebrauch aufklären können.
Gezielte Unterstützung für Opioidabhängige
Nur die Hälfte aller in Deutschland lebenden Opioidabhängigen erhält derzeit eine Substitutionsbehandlung. Bei einer solchen Therapie bekommen Betroffene Ersatzsubstanzen, mithilfe derer der Weg zur Abstinenz erleichtert oder der Gesundheitszustand langfristig verbessert werden kann. Eine Kampagne der deutschen Aidshilfe soll dies nun ändern: Ihr Ziel ist es, bestehende Angebote zu erweitern, um die Lebensqualität zahlreicher Suchtmittelkonsumenten zu steigern und ihnen einen strukturierten Alltag zu ermöglichen. Um Suchtpraxen zu entlasten und mehr Patienten eine Betreuung zu ermöglichen, fordert die Kampagne einen leichteren Zugang zu Substituten in Apotheken sowie die Verbreitung telemedizinischer Beratungsangebote. Die Autoren des Berichts setzen sich außerdem für die Ausbreitung sogenannter „Drug-Checkings“ ein. Hierbei wird Suchtmittelkonsumenten die Möglichkeit gegeben, die Inhaltsstoffe von Drogen genau analysieren zu lassen. Auf diese Art und Weise sollten Vergiftungen und Überdosierungen vermieden und die Reflexion des eigenen Konsumverhaltens angeregt werden.
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