Seitdem die Impfkampagne in Deutschland begonnen hat, ist der Impfstoff des Herstellers AstraZeneca immer wieder in Kritik geraten. Kürzlich wurde das Vakzin für alle, die sich impfen lassen wollen, freigegeben. Damit kommt auch die Debatte über das erhöhte Thromboserisiko, das mit dem Impfstoff einhergeht, wieder auf. Diese Nebenwirkung wurde hauptsächlich bei Frauen unter 60 Jahren beobachtet. Experten berichten jetzt aber, dass auch ältere Menschen (über 60 Jahre) dem erhöhten Risiko ausgesetzt sind.
Erhöhtes Risiko auch für ältere Frauen
Nach Impfungen mit dem Covid-19-Impfstoff von AstraZeneca sind bei wenigen Personen Hirnvenenthrombosen aufgetreten, die in seltenen Fällen sogar zum Tod der Betroffenen führten. Nun veröffentlichte die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) die Ergebnisse einer Studie, die das Auftreten von zerebrovaskulären Ereignissen nach einer entsprechenden Impfung genauer beleuchten. Der Fokus wird hier auf Sinus- und Hirnvenenthrombosen im Gehirn liegen. Die Auswertungen wurden auf dem medizinischen Preprint-Server „medRxiv“ publiziert. Einer Mitteilung zufolge heißt es, dass auch ältere Frauen nach der Impfung ein erhöhtes Risiko für zerebrale Sinus- und Hirnvenenthrombosen hatten. Die Quote der aufgetretenen CVT-Fälle nach einer Erstimpfung mit dem Vakzin ChAdOx1 (AstraZeneca) war um mehr als neunmal höher als nach einer Impfung mit den mRNA-Impfstoffen. Hierbei war die Rate für Frauen jeder Altersgruppe drei Mal höher im Vergleich mit der nicht-weiblicher Personen.
Thrombosen und Schlaganfälle als Nebenwirkungen
Im Rahmen einer Untersuchung hat die DGN ein Projekt gestartet. Hierbei baten sie alle neurologischen Kliniken in Deutschland darum jegliche Fälle von zerebralen Sinus- und Hirnvenenthrombosen (CVT), die innerhalb eines Monats nach einer SARS-CoV-2-Impfung aufgetreten waren, zu melden. Hinzu kamen auch ischämische und hämorrhagische Schlaganfälle, die mit der Impfung in Verbindung gebracht werden konnten. Mithilfe eines webbasierten Fragebogens konnten die Kliniken somit jeden passenden Krankheitsfall dokumentieren. Es gingen insgesamt 87 Meldungen ein, von denen 62 im potenziellen Zusammenhang mit der Impfung standen, so die Fachleute. In 95,2 Prozent der dokumentierten Fälle waren die Erscheinungen nach der ersten Impfung aufgetreten. Dabei handelte es sich in 45 Fällen um zerebrale Venenthrombosen, bei neun um ischämische Schlaganfälle, bei vier um Hirnblutungen und bei wiederum vier um andere thrombotische Vorfälle. Das Durchschnittsalter der Betroffenen lag bei 46,7 Jahren. 77,4 Prozent der Betroffenen waren unter 60 Jahre alt.
Deutlich mehr Frauen betroffen
Der Mitteilung zufolge wurden 53 der insgesamt 62 bestätigten Fälle (85,5 Prozent) nach der AstraZeneca-Impfung festgestellt, während es bei dem BionTech-Vakzin nur neun der beobachteten Fälle (14,5 Prozent) waren. Der mRNA-Impfstoff des Unternehmens Moderna wies keinerlei auffällige Vorkommnisse auf. Dies könne jedoch auch daran liegen, dass das Vakzin in Deutschland insgesamt nur 1,2 Millionen Mal verabreicht wurde. Zum Vergleich: Bis Mitte April diesen Jahres hatte man 16,2 Millionen Impfdosen von BionTech und 4,6 Millionen von AstraZeneca verwendet. Dabei wurden bei 37 von 45 Fällen einer CVT nach der Impfung mit ChAdOx1 gemeldet, acht Fälle nach BNT62b2 (BionTech). Bei den ischämischen Schlaganfällen war es ähnlich: Acht wurden im Zusammenhang mit AstraZeneca entdeckt, einer nach der BionTech-Vakzinierung. Die vier gemeldeten Fälle der intrazerebralen Blutungen wurden allein auf den Impfstoff des Herstellers AstraZeneca zurückgeführt.
Gefahr der Hirnvenenthrombose auch bei älteren Frauen
Prof. Tobias Kurth, Direktor des Instituts für Public Health an der Charité-Universitätsmedizin Berlin, und sein Team haben die Daten ausgewertet. Die Fälle wurden in den verschiedenen Gruppen in Beziehung zur Gesamtanzahl der in der jeweiligen Alters-, Geschlechts- und Impfstoffgruppe gegebenen ersten Dosen des jeweiligen Impfstoffs gesetzt. So konnte das Team die Ereignisrate pro 100.000 Personenjahre für die Gruppen ermitteln. Die Fachleute gehen davon aus, dass dies für einen direkten Vergleich mit der dokumentierten Ereignisrate von spontanen Sinus- und Hirnvenenthrombosen, unabhängig von Impfungen, hilfreich sei. Bei Frauen unter 60 Jahren, die mit AstraZenca geimpft wurden, belief sich die Ereignisrate der Thrombosen innerhalb eines Monats nach der Erstimpfung auf 24,2/100.000 Personenjahre. Bei Männern derselben Altersgruppe waren es nur 8,9/100.000.
Beim BionTech-Impfstoff waren die Ergebnisse der unter 60-Jährigen deutlich niedriger: Bei den Frauen lag die Rate bei 3,6/100.000 Personenjahren, bei den Männern bei 3,5/100.000. In der Gruppe der über 60-Jährigen wiesen die Frauen nach der Impfung mit BionTech eine sehr geringe Ereignisrate von 0,8/100.000 Personenjahre auf. Hier lagen bei den Männern keine Ergebnisse vor. Es spielte dabei keine Rolle, mit welchem Impfstoff sie geimpft worden waren. „Bis dahin haben uns die Daten nicht überrascht. Allerdings haben wir ein neues Sicherheitssignal gesehen. Die Inzidenzrate der Hirnvenenthrombosen bei Frauen unter 60 nach Gabe des AstraZeneca-Impfstoffs betrug 24,2/100.000 Personenjahre, die von Frauen über 60 nach Gabe des gleichen Impfstoffs 20,5/100.000 Personenjahre“, so Prof. Kurth. Er fügt hinzu, dass die Daten zeigen, dass auch ältere Frauen einem erhöhten Thromboserisiko nach einer AstraZeneca-Impfung ausgesetzt sind. Dieses Risiko solle laut des Experten schnellstmöglich bewertet und eingeordnet werden.
Warum tritt das Risiko nur bei Vektor-Impfstoffen auf?
In äußerst seltenen Fällen kann eine Impfung mit den betroffenen Impfstoffen (AstraZeneca und Johnson & Johnson) zu einer Vakzin-induzierten immunogenen thrombotischen Thrombozytopenie (VITT) führen. In der Mitteilung wird erklärt, dass dieser Pathomechanismus der Nebenwirkung einer heparininduzierten Thrombozytopenie (HIT) Typ II ähnelt. Hierbei kommt es zur Antikörperbildung gegen den Komplex aus Plättchenfaktor 4 (PF4) und Heparin. Aber warum tritt VITT nicht nach einer Impfung mit den mRNA-Vakzinen auf? Prof. Peter Berlit erklärt: „Wir vermuten, dass die Antikörper gegen PF4 nicht mit dem Spike-Protein von SARS-CoV-2 kreuzreagieren, sondern die Impfkomplikation mit dem adenoviralen Vektor in Zusammenhang steht. Das muss weiter untersucht werden.“
Auswirkungen auf die Impfkampagne
Experten sind sich einig: Die aktuelle Lage in Deutschland lässt darauf schließen, dass der Nutzen der Impfungen weitaus höher ist als der Schaden durch Impfnebenwirkungen, die nur in äußerst seltenen Fällen auftreten. Prof. Christian Gerloff bewertet die Lage folgendermaßen: „Bei Frauen aller Altersklassen traten zwar mehr Fälle thrombotischer Ereignisse auf, die Rate war aber in Anbetracht der vielen Millionen verimpften Dosen insgesamt immer noch sehr gering. Bei der Abwägung muss auch berücksichtigt werden, dass das Risiko einer Sinus-Venenthrombose bei einer COVID-19-Infektion um den Faktor 10 erhöht ist, die Erkrankung führt verhältnismäßig häufig zu thrombotischen Ereignissen mit Todesfolge, die Impfung nur extrem selten.“ Die höchste Priorität liege somit laut den Experten momentan in der Durchimpfung der Bevölkerung. Dennoch sollten Ärzte und Impfzentren darauf achten die potenziellen Nebenwirkungen der Vakzine transparent zu kommunizieren.
Was meinen Sie?