1,8 Millionen: So viele Menschen sind laut der Deutschen Alzheimer Gesellschaft hierzulande an einer Demenz erkrankt. Bis 2050 sollen es sogar 2,8 Millionen Betroffene sein. Nun sind Forscher auf eine Veränderung in der DNA gestoßen, die vor der Entstehung von Demenz schützt. Außerdem könnte die Entdeckung der Mutation der Ausgangspunkt für die Entwicklung neuer Behandlungsmöglichkeiten sein.
Demenz bereits mit 40: Dieses Gen ist schuld
Die häufigste Form der Demenz ist die Alzheimer-Krankheit, welche durch einen Verfall der Nervenzellen im Gehirn gekennzeichnet ist. Wie genau es dazu kommt, ist noch nicht abschließend geklärt. Bekannt ist jedoch, dass eine genetische Veranlagung zur Entwicklung der Krankheit beiträgt. Besonders verheerend sind die Auswirkungen der sogenannten Paisa-Mutation: Bei Menschen, die diese genetische Variante aufweisen, tritt der kognitive Verfall schon mit Mitte vierzig ein und setzt sich fort, bis die Betroffenen mit ungefähr 60 Jahren an der Demenz sterben.
Neu entdeckte Mutation schützt vor früher Demenz
Im Jahr 2019 wurden Forscher der Harvard Medical School auf eine Person aufmerksam, die zwar die Paisa-Mutation aufwies, aber dennoch sehr lange nicht an Demenz erkrankte. Erst mit 70 Jahren zeigten sich die ersten Anzeichen. Grund für das lange Ausbleiben der Symptome war eine weitere Mutation in einem Gen namens APOE3, das die Patientin vor den Auswirkungen der Paisa-Variante schützte.
Um weitere Personen mit einer solchen genetischen Besonderheit zu finden, haben die amerikanischen Forscher zusammen mit Wissenschaftlern der University of Antioquia in Kolumbien die DNA von 1.200 Probanden mit der Paisa-Mutation analysiert. Tatsächlich konnte das Team einen Mann ausfindig machen, der aufgrund einer zusätzlichen Mutation bis zum Alter von 67 Jahren vom kognitiven Verfall verschont blieb. Den Fall des Patienten veröffentlichte das Forscherteam kürzlich im renommierten Journal „Nature Medicine“.
Gen auch mit Schizophrenie assoziiert
Die genetische Variante, die dem Patienten trotz der Paisa-Mutation seine lange Gesundheit ermöglichte, befand sich nicht – wie bei der ersten Patientin – im APOE3-Gen. Stattdessen lag sie in einem Abschnitt der DNA, der für die Bildung des Proteins Reelin verantwortlich ist. Letzteres ist entscheidend für die Funktionsweise der Nervenzellen. In vorherigen Studien wurde ein Zusammenhang zwischen Mutationen im Reelin-Gen und psychiatrischen Krankheiten wie Schizophrenie, Autismus und der bipolaren Störung festgestellt. Die Variante, die in der aktuellen Studie beschrieben wird, scheint jedoch keine negativen Auswirkungen auf das Reelin zu haben. Im Gegenteil: An Mäusen konnten die Forscher zeigen, dass die Mutation die Wirkung des Proteins erhöht.
Wie Reelin Demenz verhindert
Reelin sowie das Protein APOE, das bei der ersten Patientin aufgrund der Mutation verändert war, sind an der Phosphorylierung des Tau-Proteins beteiligt. Dabei haben die beiden Moleküle aber entgegengesetzte Funktionen: APOE führt zu vermehrter, Reelin zu verringerter Phosphorylierung. Das ist deshalb von Bedeutung, da das Tau-Protein eine Rolle bei der Entstehung von Demenz spielt: So ist aus vorheriger Forschung bekannt, dass es sich in den Gehirnen von Alzheimer-Patienten in Form von sogenannten Tau-Fibrillen ansammelt.
„Die Tatsache, dass wir im ersten Fall eine Variante gefunden haben, die APOE betrifft, und im zweiten Fall Reelin, sagt uns, dass dieser Signalweg, der unter anderem die Phosphorylierung von Tau steuert, der Schlüssel zum Verständnis sein könnte, warum diese Patienten geschützt waren“, erklärt Joseph Arboleda-Velasquez, einer der Studienautoren. „Dies ist für die Therapieplanung von entscheidender Bedeutung, denn es zeigt uns deutlich, dass mehr Reelin möglicherweise positive Auswirkungen haben könnte.“
Diese Hirnregion könnte Ziel von Therapien werden
Doch wie genau bewirkte nun die Mutation im Reelin-Gen, dass der Patient vor Demenz geschützt war? In Untersuchungen wurde festgestellt, dass im Gehirn des Mannes wie bei anderen Alzheimer-Patienten eine hohe Zahl von Amyloid-Beta-Plaques vorhanden war. In verschiedenen Hirnregionen fand man außerdem Tau-Fibrillen. Ein Teil des Gehirns war davon jedoch nicht betroffen: der entorhinale Kortex, der für das Lernen und das Gedächtnis zuständig ist. Auch bei Mäusen konnten die Forscher feststellen, dass die Mutation im Reelin-Gen dazu führt, dass sich im entorhinalen Kortex keine Tau-Fibrillen bilden.
Die Forscher glauben daher, dass der entorhinale Kortex eine wichtige Rolle im Schutz vor kognitivem Verfall spielen könnte. Sie wollen nun herausfinden, wie man sich die entdeckte Funktion der Reelin-Mutation für die Behandlung der Demenz zunutze machen könnte. Außerdem werden sie sich erneut auf die Suche nach Menschen machen, die aufgrund einer genetischen Variante vor Alzheimer geschützt sind. Dadurch erhoffen sie sich ein noch besseres Verständnis über die Entstehung der Krankheit.
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