Mehr als 360 Millionen Menschen sind laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) jedes Jahr von Depressionen betroffen. Ein für den jeweiligen Patienten passendes Medikament gegen die psychische Störung zu finden, kann ein langwieriger Prozess sein. Die Entdeckung, dass das Anästhetikum Ketamin bei schweren Depressionen Abhilfe verschaffen kann, weckt daher große Hoffnung bei Forschenden und Betroffenen. Wissenschaftler des Karolinska Instituts in Stockholm und der Rockefeller University in den USA konnten durch neue Experimente nun ein besseres Verständnis des Wirkmechanismus des Stoffes erlangen.
Antidepressivum als Nasenspray
Die Wahrscheinlichkeit an Depression zu erkranken wird sowohl von den Genen als auch von Umweltfaktoren beeinflusst. Wenn nicht-medikamentöse Behandlungen erfolglos bleiben, kommen meist sogenannte Serotoninwiederaufnahmehemmer zum Einsatz. Sie sorgen dafür, dass die Konzentration des Neurotransmitters Serotonin im Gehirn erhöht bleibt. Bis diese Medikamente den gewünschten Effekt bringen, kann allerdings viel Zeit vergehen. In 30 Prozent der Fälle bleibt die Wirkung sogar komplett aus. Das Narkosemittel Ketamin, welches in Deutschland seit 2019 in Form eines Nasensprays als Antidepressivum zugelassen ist, stellt daher einen Durchbruch in der Suche nach neuen Alternativen dar.
Nebenwirkungen und Missbrauchsrisiko
Im Gegensatz zu anderen Antidepressiva beeinflusst Ketamin das Glutamatsystem des Gehirns, die genaue Wirkungsweise ist allerdings unklar. Wenn das Medikament anschlägt – in einigen Fällen bleibt auch hier der Effekt aus -, tritt die Wirkung schnell ein und depressive Symptome und Suizidgedanken klingen umgehend ab. Allerdings können auch unerwünschte Nebenwirkungen, wie etwa Halluzinationen und Wahnvorstellungen, auftreten. Zudem ist das Missbrauchsrisiko hoch. Daher arbeiten die Forschenden daran, Substanzen zu entwickeln, die eine ebenso schnelle und effektive Abhilfe verschaffen, jedoch ohne Nebenwirkungen.
Glutamatausschüttung verhindert
In einer kürzlich im Fachmagazin „Nature“ veröffentlichten Studie untersuchten die Forschenden des Karolinska Instituts die molekularen Mechanismen der antidepressiven Wirkung von Ketamin. In Experimenten mit Mäusen und Zellen konnten die Wissenschaftler zeigen, dass das Narkosemittel die anhaltende Ausschüttung des Neurotransmitters Glutamat verhinderte. „Eine erhöhte Glutamatfreisetzung wird mit Stress, Depressionen und anderen psychischen Störungen in Verbindung gebracht, sodass eine Senkung des Glutamatspiegels einen Teil der Wirkung von Ketamin erklären könnte“, sagt Per Svenningsson, Professor am Department of Clinical Neuroscience des Karolinska Instituts und Co-Autor der Studie. Die Wissenschaftler konnten erkennen, dass Ketamin die AMPA-Rezeptoren stimuliert, was zur verstärkten Ausschüttung des Transmitters Adenosin führt, welcher wiederum Glutamat hemmt. Die Wirkung der Substanz konnten die Forschenden zudem durch die Blockade von Adenosinrezeptoren aufheben. „Dies legt nahe, dass die antidepressive Wirkung von Ketamin durch einen Rückkopplungsmechanismus reguliert werden kann. Das ist eine neue Erkenntnis, die einige der schnellen Wirkungen von Ketamin erklären kann“, sagt Per Svenningsson.
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