Warum erkranken Menschen immer noch, obwohl die Medizin bereits so fortgeschritten ist? Wie ist es möglich, dass eine Pandemie auch in Ländern mit sehr gutem Gesundheitssystem extreme Folgen mit sich bringt? Und warum ist unser Körper überhaupt „fehleranfällig“? Dass die moderne Medizin die Krankheitsanfälligkeit nicht vollkommen besiegt, ist eine Tatsache, die vielen spätestens seit Beginn der Covid-19-Pandemie bewusst geworden ist. Mit einem Blick auf die evolutionäre Entwicklung des Menschen versucht der relativ neue Forschungsbereich der evolutionären Medizin nun, Antworten auf diese Fragen zu finden. Auch für die moderne Medizin allgemein ist dies von großem Interesse.
Schwachstellen als Entstehungsursache für Krankheiten
Der menschliche Körper investiert seine Energie in die wichtigsten Systeme: Dazu gehören das Herz-Kreislauf-System, das Nervensystem, das Gehirn oder auch das Immunsystem. Durch die Optimierung eines Systems können woanders jedoch Schwachstellen entstehen. Dies ist auch der Grund, warum unser Körper fehleranfällig ist und erkranken kann. In der Biologie nennt man dieses Phänomen „trade-off“: Bei hoher Investition muss eine andere Funktion zurückstecken, damit der Körper funktioniert. Ein Beispiel hierfür ist die Entstehung von Autoimmunerkrankungen durch die Überreaktion der körpereigenen Abwehr: Der Schutzmechanismus funktioniert hier fast schon zu gut; der Körper sieht eigene Zellen als Feinde und verursacht so Fehlfunktionen. Mit einem schwächeren Immunsystem würde die Anfälligkeit für gefährliche Krankheitserreger jedoch erst recht steigen. Deshalb wählt die Evolution den Mittelweg, der für die gesamte Population am besten erscheint und investiert in ein gutes Immunsystem – zum Nachteil für einzelne Individuen.
Fortpflanzung als oberstes Ziel
Der Motor dieser Veränderungen ist die Evolution. Das höchste Ziel der evolutionären Vorgänge ist jedoch nicht ein möglichst langes und gesundes Leben des Menschen. Oberste Priorität hat stattdessen vor allem eines: Die erfolgreiche Fortpflanzung. Alterskrankheiten lassen sich mit diesem Prinzip gut erklären, da sie außerhalb der fruchtbaren Phase des Menschen liegen – so sind sie für evolutionäre Prozesse nicht mehr von hoher Relevanz. Während für die Evolution Alterskrankheiten also Nebenerscheinungen sind, die in Kauf genommen werden müssen, sind sie für Patienten und Ärzte hingegen nicht akzeptable Beschwerden. Dasselbe Phänomen zeigt sich auch bei Mikroorganismen: Bakterien und Viren wollen überleben, um sich fortpflanzen zu können. Ihre rasche Anpassung ist aktuell auch Thema durch die ständigen Corona-Mutationen. Die schnellen Entwicklungen machen es für den Menschen in seiner körperlichen Entwicklung schwierig, sich immer wieder an die neuen Gegebenheiten anzupassen.
Risikofaktoren für Krankheitsanfälligkeit
Sich rasch ändernde Umweltbedingungen, an die sich der menschliche Körper nicht so schnell anpassen kann, machen uns ebenfalls anfälliger für Krankheiten. In den letzten 50 Jahren änderten sich beispielsweise unsere Ernährungsgewohnheiten durch den Trend hin zu Fast Food und stark verarbeiteten Produkten. Das Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten stieg dadurch nachweislich an. Auch bestimmte genetische Faktoren führen zu erhöhter Krankheitsanfälligkeit: Neandertaler-Gene beeinflussen beispielsweise unsere Wahrscheinlichkeit, schwer an Covid-19 zu erkranken, aber auch unseren Hautton. Der Mensch wird folglich immer von Krankheit betroffen sein, so der derzeitige Stand der Forschung. Dank der modernen Medizin werden jedoch auch Verschiebungen erwartet, wodurch viele aktuelle Krankheiten aussterben werden.
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