In Deutschland soll das Kontaktverbot als Vorsichtsmaßnahme im Rahmen der Coronakrise noch mindestens bis zum 3. Mai gelten. Zahlreiche Menschen haben sich bereits für eine Lockerung der Regelung ausgesprochen und der Widerstand wächst. Doch stehen wir wirklich schon wieder kurz vor der Normalität? Wissenschaftler der renommierten Harvard University publizierten kürzlich einen Beitrag im Fachjournal „Science“, welcher diverse Szenarien abdeckt. Demzufolge könnte sich das „Social Distancing“ noch ein paar Jahre hinziehen.
Maßnahmen zur Bekämpfung von SARS-CoV-2 noch jahrelang unverzichtbar?
Kommt es in Deutschland im Mai endlich wieder zu Normalität? Was würde geschehen, wenn alle Einschränkungen umgehend aufgehoben werden würden? Mit diesen Fragen haben sich Forscher der Harvard University um den Epidemiologen Edward Goldstein beschäftigt. Die Wissenschaftler stellten im Rahmen ihrer Forschungsarbeit „Projecting the transmission dynamics of SARS-CoV-2 through the postpandemic period“ fest, dass alle Menschen auf der ganzen Welt noch bis zum Jahr 2022 die Regeln des Social Distancing befolgen sollten, um einer erneuten Pandemie von SARS-CoV-2 vorzubeugen. Nur auf diese Weise könne ein Zusammenbruch der Gesundheitssysteme verhindert werden, außer in der Zwischenzeit kommt ein effektives Mittel gegen das Virus auf den Markt.
Experten gehen von zweitem Ausbruch aus
Das Forschungsteam fand zudem heraus, dass kommenden Winter mit hoher Wahrscheinlichkeit eine erneute Ausbreitung des neuartigen Coronavirus folgen wird. Weitere Maßnahmen wie ausgebaute Kapazitäten für die Intensivpflege und effektive Medikamente könnten den Erfolg einer temporären Abstandshaltung unterstützen und eine Herdenimmunität vorantreiben.
Würden Ausgangssperren bzw. Kontaktverbote hingegen plötzlich abgeschafft, könnte sich die Pandemie mit großer Wahrscheinlichkeit schnell signifikant verschlimmern. Davor warnen die Experten. Darüber entscheidet auch, wie sich die Verbreitung von SARS-CoV-2 mit den Jahreszeitenwechseln verändern wird. Darüber hinaus ist nach wie vor unklar, wie viele bereits infizierte Personen immun gegen das Virus werden. Auch ob eine Infektion mit Erkältungsviren milderer Coronaarten zu einer Immunität gegen SARS-CoV-2 führt, ist noch nicht geklärt.
Potenzielle Szenarien ermittelt
Die amerikanischen Wissenschaftler nahmen führten computergesteuerte Simulationen durch, um neues Wissen darüber zu erlangen wie die Pandemie unter unterschiedlichen Bedingungen verlaufen könnte. Unbeachtet der postpandemischen Übertragungsdynamik des neuen Coronavirus seien den Forschern zufolge jedoch unbedingt Maßnahmen nötig, um gegen die aktuelle Epidemie vorzugehen.
Abgesehen von strengen Ausgangs- und Kontaktverboten könnten eine gezielte Rückverfolgung der Infizierten und konsequente Quarantänemaßnahmen helfen. Diesbezüglich wurden bereits 2003 während der Ausbreitung von SARS-CoV-1 positive Erfahrungen gemacht. Die Umsetzung dieses Plans ist dieses Mal jedoch um einiges komplizierter, da schon mehr als zwei Millionen Menschen auf der ganzen Welt mit SARS-CoV-2 infiziert sind. Aus diesem Grund gehen die Experten davon aus, dass das neue Virus wie Influenza in Zukunft ein stetiger Begleiter sein und sich saisonal global weiterverbreiten wird.
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Das Infektionsrisiko bleibt bestehen
Eine weitere Errechnung zeigte nach einer Periode von 20 Wochen der aktuellen Maßnahmen einen epidemischen Höhepunkt. Die Infektionsrate erhöhte sich auf dasselbe Niveau wie bei einer unkontrollierten Verbreitung. Social Distancing führte dazu, dass es zu so gut wie keiner Immunität der Bevölkerung kam und hatte somit sein Ziel verfehlt.
Damit es dazu in der Realität nicht kommt, müssten die sozialen Einschränkungen bis in das Jahr 2022 in Kraft bleiben. Nur wenn die Kapazitäten in den Krankenhäusern stark ausgebaut würden oder ein wirksamer Impfstoff bzw. ein wirksames Medikament auf den Markt käme, könnten die Maßnahmen ohne diese Gefahr frühzeitig aufgehoben werden. Die Entwicklung und Prüfung von pharmazeutischen Behandlungsmethoden und Impfstoffen kann jedoch Monate oder sogar Jahre in Anspruch nehmen, sodass nicht-pharmazeutische Interventionen (NPIs) der einzige unmittelbare Weg sind, um einen Rückgang der SARS-CoV-2-Infektionen darstellen.
In der Zwischenzeit seien serologische Tests nötig, um den Umfang und Zeitraum der Immunität gegen das neue Coronavirus zu ermitteln und so auf die postpandemische Entwicklung des Virus schließen zu können. Eine konstante und umfangreiche Kontrolle wird sowohl kurzfristig notwendig sein, um temporäre Maßnahmen zur sozialen Distanzierung effektiv realisieren zu können, als auch längerfristig, um die Gefahr einer erneuten Coronakrise beurteilen zu können.
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