Das Coronavirus kann eine Reihe von Symptomen auslösen und verschiedenste Organe befallen. Eines scheint jetzt von größerer Bedeutung zu sein, als zuerst gedacht: Schafft der Erreger es, sich im Darm festzusetzen, kann er dort besonders lange überleben – und das gefürchtete Long-Covid auslösen.
Wenn die Beschwerden nicht aufhören
Long-Covid bezeichnet Symptome der Infektionskrankheit SARS-CoV-2, die noch Monate nach überstandener Erkrankung anhalten. Typische Langzeitfolgen sind Atemnot, Fatigue, Muskelschmerzen, Angstzustände und Depressionen. Aber auch die Kognition, zum Beispiel das Gedächtnis, kann beeinträchtigt sein. Dabei schien die Auswahl der Menschen, die hiervon betroffen sind, bisher eher zufällig: Sowohl Personen mit schwerem als auch Personen mit leichtem Verlauf können die langanhaltenden Nachwirkungen erfahren.
Corona auch im Darm
Forschende des Europäischen Labors für Molekularbiologie (EMBL) fanden heraus, dass der Darm möglicherweise eine größere Rolle spielt, als bisher vermutet. Seit einiger Zeit steht fest, dass das Coronavirus auch den Verdauungstrakt betreffen kann. Das liegt vermutlich daran, dass die Erreger sich hier besonders langsam und lange vermehren können. Laboranalysen der europäischen Forschenden zeigen nun, wie das möglich ist: Die Coronaviren scheinen den Abwehrmechanismen des Darms zu entkommen. Die Ergebnisse veröffentlichte das Team kürzlich im Fachmagazin „Molecular Systems Biology„.
Corona legt Warnsystem lahm
Für die Analysen züchtete die Forschungsgruppe aus menschlichen Darmzellen ein dreidimensionales Gewebe, welches sich wie das Verdauungsorgan verhält. Dieses infizierten sie dann mit Coronaviren. Mithilfe von Einfärbungen konnten sie so das Warnsystem der Zellen beobachten. Bemerkt eine Zelle einen viralen Angriff, produziert sie normalerweise den Botenstoff Interferon, welches in den anderen Zellen eine Immunantwort auslöst. Bei den mit SARS-CoV-2 infizierten Zellen jedoch ließ sich dieser Prozess nicht beobachten: Statt die anderen vor dem Angriff zu warnen, zeigten diese Zellen eher entzündungsfördernde Reaktionen. „Das deutet darauf hin, dass Corona in das Botensystem der Infizierten eingreift, um eine Immunantwort auf Ebene der Zellen zu unterbinden“, so Studienautor Sergio Triana.
Auch ohne ACE-2 erfolgreich
Eine weitere Besonderheit fiel den Forschenden an den Hüllen der betroffenen Zellen auf. Bisher galt das Enzym ACE-2 als Hauptzugang zu menschlichen Zellen für Coronaviren. Doch die Forschungsgruppe fand keinen Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein von ACE-2-Rezeptoren und der Anfälligkeit für Infektionen. Das heißt, dass das Virus anders als bisher angenommen nicht zwingend Hilfe von dem Enzym benötigt. Die Ergebnisse der Forschenden zeigen somit auch, wie viel wir noch immer nicht wissen über Covid-19, und dass eingehende Untersuchungen der Rolle des Darms sinnvoll sind, wenn wir die Krankheit und ihre Langzeitfolgen verstehen wollen. Lars Steinmetz, Wissenschaftler am EMBL, betont: „Weitere Studien können uns helfen zu verstehen, wie das Virus wächst und auf welche Weise es das menschliche Immunsystem beeinflusst.“ Das sei auch wichtig, um neue Wege zur Bekämpfung der Erkrankung zu finden.
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