Mit Beginn des Herbstes wird auch die Erkältungs- und Grippesaison eingeläutet. Während der Covid-19-Pandemie sah dies jedoch anders aus: Durch die Hygienemaßnahmen und Kontaktbeschränkungen, die den vergangenen Winter über galten, gab es kaum andere saisonale Erkrankungen. Die sonst allseits bekannte Grippewelle blieb aus. Dieses Jahr allerdings darf das Leben größtenteils normal weiter gehen. Das zeigt sich auch bei der Rate der grippeähnlichen Erkrankungen, berichtet das Robert-Koch-Institut (RKI).
Krankenhausbelegung wie zur Hochsaison
Schon im Sommer ging es los: Seit Aufnahme des Normalbetriebs in Schulen, Kindertagesstätten, Sportvereinen, Museen und der Gastronomie ist kaum eine Familie von Erkältungskrankheiten verschont geblieben. Aber wo kommen die Infekte so plötzlich her? Wenn man genauer darüber nachdenkt, ist die aktuelle Entwicklung keineswegs überraschend: Schon im Juni 2020 warnten Experten, dass die Corona-Maßnahmen zwar die Ausbreitung von Covid-19 reduzieren würden, gleichzeitig aber auch die normaler Erkältungen – was die Bevölkerung wiederum anfälliger für derartige Infektionen macht. Gerade Kinder, die sich normalerweise mehrmals pro Jahr einen Infekt holen, konnten keinen Immunschutz gegen herkömmliche Erreger aufbauen. Das zeigt sich nun auf den Kinderstationen in den Krankenhäusern: „Diese Auslastung entspricht zahlenmäßig der in einem durchschnittlichen Februar, in der Spitze der winterlichen Infektsaison“, berichtet Kinderarzt Ralph Grabitz vom Universitätsklinikum in Halle, wo bereits in den Sommerferien die ersten Lungenentzündungen bei Kindern behandelt wurden. Diese werden vom Respiratorischen Synzytialvirus (RSV) ausgelöst.
Wo sich Erreger verstecken
Für viele Viren gilt: Je länger eine Infektion her ist, desto anfälliger wird der Mensch für eine erneute Ansteckung und desto heftiger fällt auch die Erkrankung aus. So scheint es sich etwa mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 zu verhalten; für das RSV ist diese Abnahme der Immunität bereits gut belegt. Auch Neuseeland kämpfte vor einigen Monaten, als dort der Winter begann, mit einer RS-Viruswelle. Mit den Corona-Maßnahmen und den Sommermonaten waren die Erreger nur nicht spürbar, erklärt Wieland Kiess, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum in Leipzig: „Die können sich praktisch überall verstecken. Wir Erwachsenen tragen viele Erreger in uns, aber das Immunsystem hält sie in Schach. Sie kommen erst wieder zum Vorschein, wenn unser Immunsystem unter Druck steht.“ Mit Bakterien, die etwa Durchfälle verursachen, verhält es sich anders: Sie überleben als Sporen in der Umwelt und werden mit dem richtigen Klima und der richtigen Umgebung wieder aktiv. Und auch Kopfläuse sind wieder auf dem Vormarsch. Die Parasiten können im Eistadium, als sogenannte Nissen, lange unentdeckt überleben – bis sie von einer schlechtgewaschenen Wintermütze endlich auf den Kopf dürfen.
Fehlende Immunabwehr durch Corona-Maßnahmen
Die aktuelle Situation sei aber noch kein Grund zur Sorge, befinden Wieland Kiess und James Beck, Klinikdirektor in Jena. „Da die Kinder wegen der Pandemie monatelang stark isoliert und ohne soziale Kontakte mit anderen Kindern waren, konnten sie keine Immunabwehr aufbauen. Das ist die Ursache für die aktuelle Dynamik“, so Beck. Da es aktuell noch keine Impfung gegen RSV gebe, müsse jedes Kind die Infektion einmal durchstehen, erklärt Kiess. „Wir alle haben als Kleinkinder sechs bis acht Infekte pro Jahr durchgemacht“, betont der Experte. Gefährlich wird es erst, wenn mehrere Infektionswellen gleichzeitig auftreten. „Sollten von einer Grippewelle Kapazitäten beansprucht werden oder die Zahl der stationär zu behandelnden Covid-19-PatientInnen relevant zunehmen, kann es auch zu einer Überlastung der Behandlungskapazitäten kommen“, erläutert Ralph Grabitz aus Halle. So könnte ein Krankenhaus an seine Grenzen kommen, wenn viele Patienten jeden Alters zur gleichen Zeit einer Behandlung bedürfen.
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