Trotz warmer Temperaturen und fortschreitender Impfkampagnen steigen die Corona-Inzidenzen in Europa aktuell wieder an. Der Grund: Die Delta-Variante, die nach Indien und Großbritannien nun auch in Deutschland die vorherrschende Variante des Coronavirus darstellt. Göttinger Forschende untersuchten nun, warum sich gerade diese Mutation des SARS-CoV-2 Virus so rasant verbreitet.
Antikörper weniger wirksam
B.1.617.2, besser bekannt als Delta-Variante, trat erstmals im Frühjahr 2021 in Indien auf und ist ein Subtyp der zuvor dort grassierenden Mutation B.1.617. Um herauszufinden, warum diese Mutationen sich so aggressiv verbreiten, sahen sich Wissenschaftler vom Leibniz-Institut für Primatenforschung nun die Ausgangsvariante genauer an. Dabei stellten sie fest, dass B.1.617 bestimmte Lungen- und Darmzelllinien leichter infizierte als der Wildtyp. Zudem zeigten die Zellkulturstudien, dass die Variante durch Antikörper – etwa von einer Impfung, überstandenen Infektion oder Antikörpertherapie – schlechter bekämpft wurde. Das würde eine schnelle Ausbreitung dieser Mutation und seiner Subtypen – wie die Delta-Variante – begünstigen und besonders Personen mit teilweisem oder abnehmendem Immunschutz gefährden.
Viele Mutationen am Spike-Protein
Antikörper erkennen ein Virus und versuchen es zu neutralisieren. Am Coronavirus liegt die Angriffsstelle dafür in der Hülle am Spike-Protein. Dieses ermöglicht dem Virus den Eintritt in Wirtszellen und damit die Vermehrung im menschlichen Körper. Die bisher bekannten Varianten von SARS-CoV-2 grenzen sich durch ihre verschiedenen Mutationen im Spike-Protein voneinander ab. So weist etwa die B.1.617-Variante acht Veränderungen an diesem Komplex auf. Welche genauen Auswirkungen das auf die Fähigkeit des Virus hat, in Wirtszellen einzudringen, sowie auf die Möglichkeit durch Antikörper neutralisiert zu werden, untersuchten nun Forschende vom Deutschen Primatenzentrum (DPZ) in Göttingen. Die Ergebnisse veröffentlichten sie kürzlich im Fachblatt „Cell Reports„.
Lungen- und Darmzellen besonders bedroht
Bei Untersuchungen des Viruseintritts in verschiedene menschliche Zellen konnten die Wissenschaftler zwei Arten identifizieren, die besonders gefährdet waren: Zellen aus Lungen- und Darmgewebe infizierte die Variante demnach 50 Prozent effizienter als das Ursprungsvirus. Außerdem testeten die Forschenden die Wirksamkeit einiger therapeutischer Antikörper, die für die Behandlung von COVID-19 zugelassen sind. Dabei zeigte sich, dass die Variante B.1.617 von einem Antikörper schlechter gehemmt wurde und gegen einen weiteren sogar vollständig resistent war. Und auch gegen Abwehrzellen aus dem Blut Genesener und Geimpfter war die Variante stark: Hier beobachteten die Forschenden eine zwei- bis dreifache Reduktion der Schutzwirkung.
Neues, fitteres Virus
„Unsere Studie deutet darauf hin, dass die Virusvariante durch ihre Mutationen Lungen- und Darmzellen effizienter infizieren kann und daher vermutlich eine höhere Fitness aufweist“, resümiert Markus Hoffmann, Erstautor der Studie. „Außerdem ist die Schutzwirkung von Antikörpern eingeschränkt, da diese den Zelleintritt von B.1.617 schwächer blockieren als den des Ursprungsvirus. Unvollständig geimpfte Personen und Personen mit länger zurückliegender Infektion, die nur noch geringe Mengen an Antikörpern produzieren, haben daher wahrscheinlich nur einen geringen Schutz vor einer Infektion mit der B.1.617-Variante.“ Stefan Pöhlmann, Leiter der Abteilung Infektionsbiologie am DPZ fügt hinzu: „Es ist ratsam, rasch alle impfwilligen Personen mit den vorhandenen Impfstoffen vollständig zu immunisieren, um dadurch eine weitere Ausbreitung der B.1.617-Variante, insbesondere ihres Subtyps Delta, zu verhindern und der Entstehung neuer Virusvarianten vorzubeugen. Außerdem muss untersucht werden, ob Auffrischungsimpfungen mit bestehenden oder optimierten, auf die aktuellen Varianten ausgerichteten, Impfstoffen einen langanhaltenden und breiten Schutz bieten.“
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