Neben der Entwicklung von Therapien und Impfungen ist zur Bekämpfung der Pandemie vor allem wichtig, Ansteckungen und somit die Verbreitung des Coronavirus zu verhindern. Das ist zum Glück relativ erfolgreich durch die geltenden Hygienemaßnahmen zu schaffen. Wie ansteckend verschiedene Personen sind, untersuchte nun ein Team der Charité um Prof. Dr. Christian Drosten.
Infektiosität schwankt
Die Basisreproduktionszahl („R-Null“) liegt bei COVID-19 im Schnitt bei drei bis fünf. Das heißt, ohne besondere Maßnahmen würde jede infizierte Person drei bis fünf weitere anstecken. Dank Hygienemaßnahmen ist der tatsächliche R-Wert niedriger, für die letzten sieben Tage in Deutschland beispielsweise bei 0,71. Allerdings wurden schon seit Anfang der Pandemie starke individuelle Schwankungen beobachtet: Manche Menschen stecken niemanden an, andere sind „Superspreader“. Sogar unabhängig von räumlichen und sozialen Gegebenheiten sind Menschen unterschiedlich stark oder lange ansteckend. Aber welche Personen verbreiten das Virus am meisten?
Viruslast im Verlauf untersucht
Das Team unter der Leitung von Prof. Dr. Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie der Charité und Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF), untersuchte 25.000 COVID-19-Fälle. Dabei sahen sich die Forschenden die Viruslast an, also die Anzahl der Erbgutkopien von SARS-CoV-2 im Nasen-Rachen-Abstrich. Das stelle näherungsweise die Virusmenge im Rachen der Patienten dar, was wiederum auf die Infektiosität der Person schließen lässt. Für mehr als 4.300 Fälle lagen zudem mehrere Proben vor, was erstmals ermöglichte, im großen Umfang die Entwicklung der Viruslast und somit einen typischen Verlauf nachzustellen. Die Ergebnisse veröffentlichte das Forschungsteam im Fachblatt „Science“.
Kaum Unterschiede zwischen Altersgruppen
Die Ergebnisse zeigten bei der Aufteilung nach Altersgruppen keine besonderen Unterschiede der Infektiosität bei den 20- bis 60-Jährigen. Anders sah es bei Kindern zwischen 0 und 5 Jahren aus: Hier fanden sich in den Proben deutlich geringere Viruslasten. Bei Kindern ab 6 Jahren näherten sich die Virusmengen mit steigendem Alter denen bei Erwachsenen an. „Diese Zahlen sehen erst einmal unterschiedlich aus, wir betrachten Viruslasten aber auf einer logarithmischen Skala“, sagt Prof. Drosten. „Die Viruslast-Unterschiede bei den jüngsten Kindern liegen gerade noch unterhalb der Grenze dessen, was man als klinisch relevant betrachten würde.“
Kinder sind im Vergleich 20 Prozent weniger ansteckend
Zudem müsse man bedenken, welche Faktoren die Daten beeinflusst haben könnten. „Bei Kindern werden deutlich kleinere Abstrichtupfer eingesetzt, die weniger als halb so viel Probenmaterial in die PCR-Testung einbringen. Außerdem werden bei ihnen statt der schmerzhaften tiefen Nasen-Rachen-Abstriche oft einfache Rachenabstriche gemacht, in denen sich noch mal weniger Virus findet. Deshalb erwarten wir bei Kindern mit gleicher Virusvermehrung von vornherein geringere Viruslast-Messwerte in der PCR.“ Nach Einberechnung dieser Faktoren ermittelten die Forschenden für Kinder eine etwas geringere Infektiosität, etwa 80 Prozent des Wertes von Erwachsenen. „Dies verdeutlicht, dass man Viruslasten nicht einfach proportional in Infektiosität umrechnen kann“, erklärt Prof. Drosten. „Und auch diese datenbasierten Schätzungen der Infektiosität muss man noch mal nach oben korrigieren wegen der unterschiedlichen Probennahme bei Kindern. All dies fließt in eine klinisch-virologische Bewertung ein.“
Minderheit verursacht Großteil der Ansteckungen
Die Studie bestätigt die Annahme, dass sich von Symptomatik nicht unbedingt auf Viruslast oder Infektiosität schließen lässt. Die Forschenden schätzen außerdem anhand der Verlaufsmodelle, dass die Viruslast ein bis drei Tage vor Symptombeginn am höchsten ist. Auffällig waren die Fälle mit besonders hoher Viruslast: Bei circa 9 Prozent der Proben war die Erbgutmenge 400 Mal so hoch wie bei der durchschnittlichen Probe. Mehr als ein Drittel dieser Patienten entwickelte keine oder nur milde Symptome. „Diese Daten liefern eine virologische Grundlage für die Beobachtung, dass nur eine Minderheit der Infizierten den größten Teil aller Übertragungen verursacht“, erklärt Prof. Drosten. „Dass sich hierunter so viele Menschen ohne relevante Krankheitssymptome finden, macht klar, warum Maßnahmen wie Abstandsregeln und die Maskenpflicht für die Kontrolle der Pandemie so wichtig sind.“
Zehnmal höhere Viruslast bei britischer Mutante
Ebenfalls höhere Viruslasten fanden sich in Proben von Personen, die mit der britischen Mutation des Coronavirus infiziert waren. Um die Varianten zu vergleichen, stellten die Forschenden 1.500 Proben der britischen Variante 1.000 Proben des Wildtyps gegenüber, die in denselben Abstrichstellen, Ambulanzen oder Stationen gefunden wurden. Im Schnitt waren die Erbgutmengen bei der Variante B.1.1.7 zehnmal höher, das Forschungsteam schätzte die Infektiosität auf das 2,6-Fache. „Auch wenn Laborversuche es bisher noch nicht abschließend erklären können: Das B.1.1.7-Virus ist infektiöser als andere Varianten“, so Drosten. Das Forschungsteam will die Untersuchung der Viruslast über den weiteren Verlauf der Pandemie fortführen, um so auch mehr über die Entwicklung des Coronavirus und die Bildung neuer Varianten zu lernen.
Was meinen Sie?