Durch Operationen die auf Grund der Coronakrise abgesagt bzw. verschoben wurden, ist weltweit ein enormer Nachholbedarf entstanden. Einer neuen englischen Auswertung zufolge könnte es mehrere Jahre dauern bis die rund 28 Millionen vertagten chirurgischen Eingriffe durchgeführt worden sind. Bei den ausstehenden Operationen soll es sich unter anderem um zahlreiche Krebsbehandlungen handeln.
Operationen wurden aufgeschoben
Wissenschaftler des National Institute for Health Research (NIHR) der Universität Birmingham in England werteten auf Basis einer globalen Datenerhebung die Folgen der Coronakrise für die geplanten Operationen aus. Dabei stellte sich heraus, dass im Jahr 2020 mehr als 28 Millionen geplante Operationen nicht vorgenommen werden bzw. nicht vorgenommen wurden. Diese Zahl könnte massive Auswirkungen auf die Zeit nach der Pandemie haben. Die Analyse ist vor Kurzem in dem Fachblatt „British Journal of Surgery“ erschienen.
Chirurgen erwarten einen Ansturm
Betroffene werden nach der Coronakrise offenbar lange Wartezeiten für planbare Eingriffe in Kauf nehmen müssen. Englische Analysten sagten voraus, dass es wegen Covid-19 im Jahr 2020 zu etwa 28,4 Millionen nicht durchgeführten Operationen kommen wird. Diese Zahl beruht auf einer Spitzenunterbrechung des Krankenhausbetriebs für 12 Wochen. Jede weitere Woche der Pause führe zu weiteren 2,4 Millionen Stornierungen.
Die planbaren Eingriffe wurden allesamt verschoben, um die Ansteckungsgefahr der Patienten im Krankenhaus zu senken. Darüber hinaus wurden die Operationen abgesagt, um die Reaktion der Krankenhäuser auf die Gesundheitskrise so gut wie möglich zu unterstützen. Dies wurde beispielsweise durch die Umfunktionierung von Operationssälen in Intensivstationen sichergestellt.
Aktuelle Prognose
Die Wissenschaftler werteten Daten aus 359 Krankenhäusern in 71 Ländern aus und kreierten mithilfe dieser ein Prognosemodell der weltweiten Gesamtzahl an ausbleibenden Operationen. Demzufolge müssen im Durchschnitt 72,3 Prozent aller planbaren Eingriffe vertagt werden, wenn die Schutzmaßnahmen im Krankenhausbetrieb eines Landes notwendig sind. Die meisten Operationen sind orthopädische (6,3 Millionen), allerdings handelt es sich ebenfalls um viele Krebsbehandlungen (2,3 Millionen).
Dem National Health Service (NHS) zufolge sollen Krankenhäuser planbare Operationen nicht länger als 12 Wochen stornieren. Wird diese Zeitspanne befolgt, so ergäben sich dort 516.000 abgesagte Eingriffe, 36.000 davon Krebsbehandlungen. Dieser Rückstand müsse nach der Coronakrise dringend aufgeholt werden.
Verheerende Folgen
Laut den Analysten werde es allein in England etwa 11 Monate dauern, bis die liegengebliebenen Operationen abgeschlossen sind. Selbst das sei nur möglich, wenn das Arbeitspensum der beteiligten Arbeitskräfte um 20 Prozent erhöht wird. Jede Woche der anhaltenden Stornierung erhöhe diesen Zeitraum allerdings enorm und schreibe weitere 43.300 Operationen auf die Nachholliste.
Auch wenn es unvermeidbar war die Operationen zu verschieben, so ist dies für Betroffene ein schwerer Schlag. Der Zustand vieler Patienten könnte sich verschlechtern, ihre Lebensqualität könnte beeinträchtigt werden. Insbesondere bei den vertagten Krebsbehandlungen komme es den Studienautoren zufolge deshalb sicherlich zu Todesfällen.
Aus diesem Grund zählt Dr. Dmitri Nepogodiev aus dem Forschungsteam zufolge jede Woche, in der die Krankenhäuser den Operationsbetrieb noch nicht wieder aufnehmen. Die Situation sollte unbedingt regelmäßig neu eingestuft werden, damit geplante Eingriffe so schnell wie möglich stattfinden können. Natürlich führe der Rückstand auch zu enormen Kosten. Für England sagten die Wissenschaftler einen Betrag von mindestens zwei Milliarden Pfund voraus.
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Lage in Deutschland
In die Modellierungsstudie flossen auch die Daten einer Umfrage aus 34 deutschen Krankenhäusern ein. Dies gab der Chirurg Markus Albertsmeier vom Münchner LMU-Klinikum an, der an der Studie mitwirkte. Hierzulande sei mit mehr als 900.000 vertagten Operationen zu rechnen. Dabei handelt es sich um 85 Prozent aller planbaren Eingriffe während der Coronakrise.
Die deutschen Kapazitäten werden laut Albertsmeier generell so eingestuft, dass keine zwingend erforderliche Krebsbehandlung verschoben werden muss. International ist die Situation jedoch eine andere: Speziell in ärmeren Ländern werden Krebsoperationen abgesagt. In Brasilien werden beispielsweise 44 Prozent dieser Eingriffe vertagt, in Vietnam 56 Prozent und im Sudan sogar stolze 72 Prozent.
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