Makellose Beine entsprechen in den meisten Kulturkreisen dem gängigen Schönheitsideal. Besenreiser oder Krampfadern hingegen werden kaum als ästhetisch wahrgenommen. Während die Hautirritationen aus optischer Perspektive mit gutem Gewissen vernachlässigt werden können, ist es ratsam, ihnen aus gesundheitlicher Sicht dennoch Beachtung zu schenken: Einer aktuellen Studie zufolge weisen derartige Hautveränderungen nämlich auf eine chronisch-venöse Insuffizienz hin, die als Indikator für Herz-Kreislauf-Erkrankungen gewertet wird.
Was steckt hinter CVI?
Bei der chronisch-venösen Insuffizienz handelt es sich um eine Erkrankung der tiefen Beinvenen. Betroffene leiden unter einer sogenannten Mikrozirkulationsstörung, bei der die Durchblutung der Unterschenkel beeinträchtigt ist. In weiterer Folge entwickeln sich krankhafte Veränderungen des Bindegewebes, der Blutgefäße sowie der Hautoberfläche. Eine chronische Veneninsuffizienz ist in den meisten Fällen auf einen zu hohen Blutdruck in den oberflächlichen Venen zurückzuführen. Dieser pathologisch erhöhte Venendruck entsteht oftmals als Reaktion auf eine sogenannte Thrombose. Als primäre Ursache betrachten Mediziner allerdings defekte Venenklappen – die Ventile können ihrer Funktion nicht mehr ordnungsgemäß nachkommen. Dies bedeutet, dass venöses Blut nicht regulär zum Herz geleitet wird, sondern zurück in die Unterschenkel fließt, wo daraus resultierende Blutstauungen auftreten. Optisch sind insbesondere Venenknoten und Besenreiser Indizien für das Krankheitsbild. Doch auch Wadenkrämpfe, Juckreiz sowie Wasseransammlungen in den Beinen sprechen für eine Insuffizienz.
Mehr als ein optischer Mangel
Forschern des Centrums für Thrombose und Hämostase (CTH) der Universitätsmedizin Mainz gelang es in Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Herzkreislaufforschung einen klaren Zusammenhang zwischen venösen Hautveränderungen und einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen zu belegen. Bislang wurden sogenannte Varikosen und Besenreiser in medizinischen Kreisen häufig als ästhetische Unannehmlichkeit abgetan. Die gewonnenen Resultate des Forschungsprojekts verdeutlichen allerdings das Gegenteil: Die Experten gehen sogar davon aus, dass derartige Hautirritationen auf eine verfrühte Sterblichkeit hindeuten könnten.
Umfangreiche Bevölkerungsstudie
„Unsere Untersuchung ist die erste und umfangreichste bevölkerungsbezogene Studie, die systematisch das gesamte Spektrum der Veneninsuffizienz untersucht und in Verbindung mit etablierten Herz-Kreislauf-Erkrankungen auswertet“, berichtet Dr. Jürgen Prochaska, Arbeitsgruppenleiter am CTH und Oberarzt am Zentrum für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz. Im Verlauf des Projekts wurden die Angaben von rund 15.000 Personen berücksichtigt. Die Fachleute nahmen jegliche Venenveränderung genau unter die Lupe. Der Schweregrad der Irritationen wurde dank standardisierter digitaler Bildaufnahme und klinischen Untersuchungen der Beine ermittelt. Typische Symptome konnten durch einen Fragebogen erfasst werden. Sämtliche Probanden gaben Auskunft über Begleiterkrankungen sowie kardiovaskuläre Risikofaktoren.
Krankheitsrisiko steigt mit Alter
„Wir konnten zeigen, dass die chronisch-venöse Insuffizienz ausgesprochen verbreitet ist: Bei rund 41 Prozent der 40- bis 80-jährigen Probanden der bevölkerungsbasierten Gutenberg-Gesundheitsstudie (GHS) wurde eine symptomatische chronische Venenschwäche mit Ödemen, Hautveränderungen oder offenen Wunden der unteren Gliedmaßen diagnostiziert“, fügt der Mediziner hinzu. Darüber hinaus veranschaulichen die Studienergebnisse, dass sich das Risiko für eine venöse Insuffizienz mit zunehmendem Alter eindeutig erhöht. In der Altersgruppe der 40- bis 50-Jährigen erkrankt rund jeder Fünfte, bei den 70- bis 80-Jährigen sind zwei von drei Personen betroffen. Zudem tritt die Krankheit tendenziell bei Frauen häufiger in Erscheinung.
Verbindung zu Herzerkrankungen aufgedeckt
Die bedeutendste Erkenntnis der Untersuchungen sei den Forschern zufolge allerdings die Tatsache, dass CVI-Patienten im Vergleich zu gleichaltrigen Menschen desselben Geschlechts eine um 60 Prozent erhöhte Wahrscheinlichkeit aufweisen, an einer gravierenden Herz-Kreislauf-Erkrankung zu leiden. Des Weiteren stellten die Forscher fest, dass sich das Risiko für Herzkomplikationen wie Herzinfarkt, Vorhofflimmern oder Herzschwäche bei Erkrankten beinahe verdoppelte.
Alarmierende Erkenntnis
Doch die gesundheitlichen Konsequenzen der Erkrankungen können sogar noch bedrohlichere Züge annehmen: Laut den Fachleuten deuten die Ergebnisse darauf hin, dass CVI unabhängig von anderen Risikofaktoren mit einer deutlich erhöhten Mortalität korreliert. Laut der Studie stieg die Sterblichkeit von Erkrankten in fortgeschrittenen Stadien im Beobachtungszeitraum von rund sechs Jahren um das 1,7-fache an. Angesichts dieser alarmierenden Erkenntnisse appelliert die Arbeitsgruppe an sämtliche Mediziner, chronisch-venöse Insuffizienz als ernstzunehmendes Krankheitsbild anzuerkennen. „Unsere Daten weisen darauf hin, dass klassische Risikofaktoren für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung, beispielsweise Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Übergewicht oder Rauchen zu einer fortgeschrittenen Venenschwäche beitragen“, erläutert der Kardiologe Dr. Thomas Münzel an der Universitätsmedizin Mainz. Aus diesem Grund sei es essenziell bei einer diagnostizierten Veneninsuffizienz auch kardiovaskuläre Risikofaktoren zu berücksichtigen.
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