Gegenwärtig wird darüber diskutiert, ob lange anhaltende Trauer als behandlungsbedürftige psychische Erkrankung einzustufen ist, oder nicht. Jeder, der die Situation schon erleben musste weiß, nach dem Tod eines nahe stehenden Angehörigen bedarf es einer längeren Zeitspanne, um das normale Leben wieder aufnehmen zu können. In dieser Phase befinden sich die Betroffenen in einem seelischen Ausnahmezustand.
Doch wie lange ist hier „normal“, mehr noch, welcher Umgang mit der Trauer ist „normal“? Jeder Mensch ist anders, jeder geht mit dieser Situation anders um. Manche Psychologen sprechen bei einer Trauerphase von über sechs Monaten Dauer von pathologischer/krankhafter Trauer.
Krankhafte Trauer ist kein anerkanntes Krankheitsbild
Krankhafte Trauer ist gegenwärtig kein anerkanntes Krankheitsbild. Bei ihr soll es sich um etwas anderes handeln als um eine Depression oder posttraumatische Belastungsstörung. In einer Studie zeigten Trauerforscher der Universität Leipzig, dass knapp sieben Prozent der deutschen Bevölkerung nach dem Verlust eines nahestehenden Menschen eine pathologische Trauer entwickeln. Die Wissenschaftler sprechen auch von prolongierter Trauer, weil sie überdurchschnittlich lange andauert. Sechs Monate gelten als Limit. Wer sich nach so langer Zeit immer noch intensiv nach dem Verstorbenen sehnt, sein Leben als sinn- und bedeutungslos empfindet und nicht ins aktuelle Leben zurückfindet, bei dem sei eine Therapie zur Bewältigung der Trauer angezeigt, meint Professor Annette Kersting, Direktorin der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Leipzig.
Trauernde brauchen spezifische Therapieangebote
„Patienten, die im Trauerprozess stecken bleiben, brauchen spezifische Therapieangebote“, sagt Kersting. „Antidepressiva wirken bei Trauernden nicht, wenn sie nicht zusätzlich unter einer Depression leiden.“ Im Gegensatz zu typischen Symptomen bei Depressiven, etwa nichts fühlen zu können, erlebten pathologisch Trauernde mit der Trauer besonders intensive Gefühle. Kersting berichtet von einer jungen Mutter, die ihr Kind durch eine Totgeburt verlor. Doch die Mutter hörte das Baby im Nebenzimmer weinen. „Es war klar, dass es keine psychotische Störung war“, betont die Psychotherapeutin. „Denn die Patientin wusste, dass ihr Kind nicht lebend zur Welt gekommen war. Sein Weinen war eine Trauerhalluzination.“ In einer groß angelegten Studie untersuchte Kersting den Trauerverlauf bei Frauen, die ihr Kind in der Schwangerschaft verloren hatten. Später zeigte sie mit Hilfe der Computertomografie, dass Trauerschmerz dieselben Areale im Gehirn aktiviert wie körperliche Schmerzen.
Trauer gehört zum Leben, auch lange anhaltende
Trauer ist an sich nichts krankhaftes und gehört zum Leben. Hilfreich für Trauerende seien unterstützende Beziehungen zu Familie oder Freunden, oder auch Selbsthilfegruppen, sagt Kersting. „Traurigkeit über den Verlust eines Menschen, der einem sehr nahe steht, kann viele Jahre anhalten und ist an sich nichts krankhaftes. In der Regel nehmen im Verlauf der Zeit die Phasen der Traurigkeit ab und es gelingt den Menschen wieder zunehmend nach vorne zu schauen.“
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