Bei stark unterernährten Personen ist es essenziell, die Nahrungszufuhr so schnell wie möglich wiederherzustellen. Deshalb werden Betroffene oftmals ermutigt, beim Essen wieder ordentlich zuzulangen. Hierbei ist jedoch Vorsicht geboten: Werden zu viele Nährstoffe in kurzer Zeit eingenommen, kann dies das Refeeding-Syndrom hervorrufen – mit fatalen Folgen.
Syndrom bereits in der Antike dokumentiert
Das Syndrom wurde erstmals im ersten Jahrhundert nach Christus vom jüdisch-römischen Historiker Flavius Josephus beschrieben. Dieser dokumentierte den unerwarteten Tod zahlreicher Juden, die der römischen Gefangenschaft entkamen. Aufgrund des langandauernden Hungers nahmen die Gefangenen nach ihrer Flucht überproportional viel Nahrung zu sich und starben in weiterer Folge. Medizinhistorisch wurde ein ähnliches Phänomen nach Ende des Zweiten Weltkrieges bei Insassen nationalsozialistischer Konzentrationslager und japanischen Kriegsgefangenen beobachtet. Als sie nach langem Nahrungsentzug wieder ein normales Essverhalten entwickelten, traten unerwartet schwerwiegende Symptome einer Herzschwäche mit neurologischen Komplikationen auf. Darauffolgende medizinische Untersuchungen belegten einen klaren Zusammenhang zwischen Refeeding und kardiovaskulären Beschwerden. Heutzutage sind insbesondere Patienten mit Anorexia nervosa im Rahmen einer Ernährungstherapie betroffen.
Schwerwiegende Symptomatik
Medizinische Beobachtungen deuten darauf hin, dass die Beschwerden vor allem bei venösen Glukoseinfusionen auftreten. Doch auch im Zuge der oralen Nahrungseinnahme oder künstlichen Ernährung über den Darm können sich Symptome entwickeln. Häufig manifestiert sich das Syndrom innerhalb der ersten vier Tage nach Wiederaufnahme einer normalen Ernährung. Kardiovaskuläre Beeinträchtigungen, Wassereinlagerungen im Gewebe sowie ein akuter Vitamin-B-1-Mangel gelten als erste Anzeichen. Die Ausprägung der Symptome hängt maßgeblich von der Dauer der zuvor erfolgten Nahrungskarenz sowie dem Grad der Unterernährung ab.
Verhängnisvolle Glukosezufuhr
In den meisten Fällen ist das Refeeding-Syndrom auf einen unausgeglichenen Mineralstoffwechsel nach einem chronischen Nahrungsentzug zurückzuführen. Bereits nach zwei Tagen ohne Nahrungsaufnahme verfügt der Körper über keine Kohlenhydratreserven mehr und beginnt intensiv Fett abzubauen. Darüber hinaus reduziert sich kontinuierlich die Konzentration essenzieller Mineralien und Vitamine. Erfolgt nach einer längeren Hungerperiode eine größere Glukosezufuhr, setzt die Bauchspeicheldrüse unmittelbar Insulin frei, um die Energiegewinnung in den Zellen voranzutreiben. Die Verbrennung von Glukose bedarf jedoch mehrerer wichtiger Vitamine und Mineralien, insbesondere Vitamin B1 und Phosphat. Während Phosphat zur Erzeugung des lebenswichtigen Energiespeichers ATP beiträgt, katalysiert Vitamin B1 den Glukoseabbau.
Unausgewogener Elektrolythaushalt provoziert Symptome
Im Zuge der Energiegewinnung werden nicht nur vermehrt Phosphate, sondern darüber hinaus auch Magnesium- und Kaliumionen in den Zellen absorbiert. Angesichts des vorhergegangenen Nahrungsentzugs gerät der Elektrolythaushalt stark aus dem Gleichgewicht – während die Mineralien interzellulär beständig ansteigen, herrscht extrazellulär weiterhin ein signifikanter Mangel vor. Diese Imbalance lässt die Blutgefäße durchlässig werden, sodass sich Flüssigkeiten im Gewebe ansammeln. Außerdem hält die überproportionale Menge an Insulin Wasser im Körper zurück, wodurch in weiterer Folge Herz- und Nierenkomplikationen auftreten können.
Therapie und Prävention
Um der Entwicklung eines Refeeding-Syndroms vorzubeugen, ist es essenziell, vor und während der Wiederaufnahme einer regulären Ernährung mangelnde Elektrolyte und Vitamine zu substituieren. Zeitgleich sollte die Elektrolytkonzentration im Blut regelmäßig kontrolliert werden, um eine angemessene Dosierung sicherzustellen. Im Rahmen der Therapie ist es ratsam, die physiologische Nahrungsaufnahme kontinuierlich zu steigern. Hierbei wird zu Beginn eine tägliche Nährstoffzufuhr von ca. 15 Kilokalorien pro Kilogramm nahegelegt. Um ernste Komplikationen zu vermeiden, sollte die Behandlung unterernährter Patienten unbedingt unter ärztlicher Betreuung erfolgen. Nach erfolgreicher Therapie empfiehlt es sich, auf eine vitamin- und mineralstoffreiche Ernährung zu setzen, sodass ein gesunder Stoffwechsel etabliert werden kann. Betroffene sollten zudem eiweiß- und kohlenhydrathaltige Lebensmittel auf ihren Speiseplan setzen, damit keine erneute Mangelernährung auftritt.
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