Über 90 Prozent der Erwachsenen tragen früher oder später das Epstein-Barr-Virus (EBV) in sich. Glücklicherweise bemerken die meisten von ihnen die Ansteckung nicht, jedoch kann es bei manchen zu Symptomen wie Fieber, Halsschmerzen und starker Müdigkeit kommen. Vor allem bei jungen Menschen löst er häufig das Pfeiffersche Drüsenfieber aus. Schon länger sind mögliche schwerwiegende Folgeerkrankungen durch eine EBV-Infektion bekannt. Forschern gelang es nun nähere Details zum Einfluss des Virus auf die Entstehung von Krebs zu entschlüsseln.
Entweder unbemerkt…
Das Epstein-Barr-Virus gehört zur Familie der Herpes-Viren und ist eine der häufigsten Virusarten beim Menschen. Die meisten Personen infizieren sich im Laufe ihres Lebens damit, wobei dies für die meisten Betroffenen symptom- und folgenlos verläuft. Die Erstinfektion kann jedoch vor allem in jungen Jahren das sogenannte Pfeiffersche Drüsenfieber, auch infektiöse Mononukleose genannt, auslösen. Diese Erkrankung äußert sich durch starke Müdigkeit, Fieber, Halsschmerzen, geschwollene Lymphknoten am Hals, eine vergrößerte Milz sowie – weniger häufig – durch einen roten Ausschlag am Körper.
…oder folgenschwer
Es ist schon länger bekannt, dass das Epstein-Barr-Virus bei einzelnen Betroffenen für verschiedene Spätfolgen sorgen kann. Zum einen wird vermutet, dass das Virus den Ausbruch von Multipler Sklerose, dem chronischen Fatigue-Syndrom, Lupus, rheumatoider Arthritis und Long-Covid fördern kann. Des Weiteren gilt es als krebserregend und scheint die Entwicklung mehrerer Krebserkrankungen, darunter das Hodgkin-Lymphom und Hals-Rachen-Krebs, zu begünstigen. Amerikanischen Forschern ist es nun erstmals gelungen einen krebsauslösenden Mechanismus von EBV zu entschlüsseln.
Forschungsdurchbruch in Amerika
In einer aktuellen Studie, die im April 2023 in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht wurde, berichteten Forscher der University of California darüber, wie das Virus unsere Zellen zum Entarten bringt. Man ist sich zwar schon seit geraumer Zeit über die krebserregende Wirkung des Epstein-Barr-Virus bewusst, wie genau es in unserem Organismus wirkt, war bisher aber unklar. Laut den Wissenschaftlern koppeln die Virusproteine an besonders schwache Stellen unseres elften Chromosoms an und bewirken dort Brüche. Das provoziert wiederum die Entstehung von Krebs.
Virusproteine lagern sich in DNA an
Für die Entdeckung des Mechanismus ist das Forscherteam um Julia Su Zhou Li einem bereits bekannten Charakteristikum des EBV nachgegangen: das Virus hinterlässt in infizierten Zellen ein Protein namens EBNA1. In einer Art Rückkopplung bindet dieses schließlich an eine bestimmte DNA-Sequenz im Erbgut des Virus, die Anlagerung kann aber auch an der menschlichen Erbinformation stattfinden. Im Rahmen ihrer Untersuchungen sahen sich die Forscher mithilfe verschiedener humaner Zellkulturen an, wo die Stelle dieses Kopplungsmechanismus genau ist. Auf diese Weise konnten sie feststellen, dass sich die EBNA1-Proteine vor allem in einem Abschnitt des elften Chromosoms ansammelten. Nach näheren Überprüfungen entdeckten sie, dass das Erbgut an dieser Stelle vielzählige Kopien einer DNA-Sequenz enthielt, die mit der Andocksequenz des EBV-Gencodes übereinstimmten. Dadurch gelingt es dem viralen EBNA1-Protein sich an die menschliche DNA anzuschließen.
EBV bevorzugt Schwachstellen
Bemerkenswert an diesem Vorgang ist, dass das Virusprotein für die Bindung einen sogenannten fragilen Punkt am Chromosom auswählt. Dort kommt es während der Zellteilung vermehrt zu Schäden, Brüchen und Mutationen der DNA. Eine weitere Erkenntnis der Wissenschaftler ist, dass nach dem Andocken des EBNA1-Proteins der DNA-Strang an genau diesem Abschnitt abknickt. Bei ihren Analysen kam es bei etwa 40 Prozent der geteilten Zellen zu einem oder mehreren zerbrochenen EBNA1-Andockstellen. Somit gelang es den Forschenden einen zuvor unbekannten EBV-Mechanismus zu entdecken, der Einfluss auf die Krebsentstehung hat. Derartige Schäden der DNA gelten als eine der Hauptrisikofaktoren in der Entwicklung von Krebserkrankungen. Um ihre Erkenntnisse zu stützen, analysierte das Team schließlich die Daten von fast 2.500 Tumortypen und 38 Krebsarten. Das Ergebnis: die Tumore von Patienten mit einer latenten EBV-Infektion wiesen deutlich öfter Schäden am Chromosom 11 auf. Betroffene, die EBV-positiv waren und an Hals-Rachen-Tumoren litten, hatten sogar zu 100 Prozent Brüche am elften Chromosom.
Eine latente Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus und besonders dessen Wiedererwachen steigert somit die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung bestimmter Krebstypen. Durch die neuen Erkenntnisse erhoffen sich die Wissenschaftler Menschen in Zukunft gezielt auf diesen Risikofaktor hin untersuchen und damit verbesserte Therapiemaßnahmen entwickeln zu können.
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