Es gibt vieles, was wir noch nicht wissen über die neue „Variant of Concern“ (VoC), wie sie vom Robert-Koch-Institut eingestuft wird. Erstmals im Oktober 2020 in Indien nachgewiesen sorgt die Mutation des Coronavirus SARS-CoV-2 dort jetzt für entsetzliche Verhältnisse. Forschende aus Großbritannien warnen, dass von B.1.617.2 eine große Gefahr ausgehen könnte – auch für größtenteils geimpfte Länder.
Schnelle Ausbreitung der Mutation
In einem Beitrag im British Medical Journal (BMJ) verurteilen Stephen Reicher von der University of St. Andrews und andere Forschende das Vorgehen der britischen Regierung. Die indische Mutation des Coronavirus stelle ein großes Risiko dar, welchem schnell mit entsprechenden Maßnahmen begegnet werden müsse. Laut den Autoren verbreitet sich die neue Variante rasant: Jede Woche verdoppeln sich die Infektionszahlen der Mutation. Somit ist sie vermutlich ansteckender als die bisher vorherrschende britische Mutation. Auch halten die Forschenden es für möglich, dass B.1.617.2 dem Impfschutz, den in Großbritannien bereits 55 Prozent der Bevölkerung vollständig erhalten haben, besser entgeht. Sie betonen, dass die indische Variante mit vielen Unsicherheiten verbunden ist.
Modellrechnungen zeigen Gefahr
Hochrechnungen zu einem „worst case Szenario“ bestärken die Warnungen der Wissenschaftler: Wenn die indische Coronamutation 40 bis 50 Prozent ansteckender ist als die britische Variante, könnte das die Krankenhäuser noch stärker belasten als zum Höhepunkt der zweiten Welle im Januar 2021. Wenn dann noch eine Immunflucht hinzukommt, würden die Prognosen noch düsterer. Unabhängig davon, wie ansteckend und gefährlich die indische Variante ist, fordern die Forschenden die Einführung einiger Maßnahmen, um eine Rückkehr zum harten Lockdown zu verhindern:
- Globale Verteilung der Impfstoffe: Aufgrund der verheerenden Situationen in Südamerika, Südasien und nun auch in Afrika fordern die britischen Forschenden kurzfristig eine Impfstoffumverteilung. Langfristig fordern sie eine Aufhebung der Patente. Wenn nur Teile der Weltbevölkerung immun sind, würden sich in anderen Teilen weiter Mutationen entwickeln. „Niemand ist sicher, solange nicht alle sicher sind“, so heißt es in dem Beitrag.
- Effektivere lokale Begrenzung: Die Forschenden kritisieren, dass aktuelle Beschränkungen zu langsam und durchlässig seien. Wenn es zur Einstufung eines Landes als Risikogebiet kommt, sei es meist bereits zu spät, um den Ausbruch lokal zu begrenzen.
- Bessere Isolationsmöglichkeiten: Neben einer effizienteren Identifizierung und Nachverfolgung von Infektionen müsse Betroffenen mehr Unterstützung bei der Quarantäne angeboten werden. Derzeitige Erkenntnisse deuten darauf hin, dass sich die indische Mutante innerhalb von Haushalten am besten verbreitet. Daher sollten Unterkünfte zur Verfügung gestellt werden, damit Menschen sich, wenn nötig, isolieren können.
- Angemessene Belüftungskonzepte: Inzwischen sei klar, dass ein Großteil der Infektionen auf Aerosole zurückzuführen ist. Die britischen Wissenschaftler fordern daher, dass gute Belüftungssysteme als Bedingung für Wiedereröffnungen gestellt werden.
- Klare Kommunikation: Die Autoren erwarten von der Regierung deutliche Worte. Die dynamische Situation der Pandemie und die damit verbundenen Risiken müssten eindeutig benannt und verständlich erklärt werden. Mit Öffnungsversprechen sollte sehr vorsichtig umgegangen werden.
Frühzeitiges Eingreifen lohnt sich
Mithilfe dieser Maßnahmen hoffen die Forschenden, eine Rückkehr zum harten Lockdown zu verhindern und das Coronavirus weiter einzudämmen. Außerdem empfehlen sie, die aktuell in Großbritannien laufenden Lockerungsschritte zu pausieren, bis die Situation mit der indischen Variante besser einzuschätzen ist. Sie betonen weiterhin, dass es schon jetzt möglich wäre, die vorgeschlagenen Regulierungen einzuführen, und fordern, damit nicht länger zu warten. Sie verweisen darauf, dass Staaten, die frühzeitig intervenieren, sowohl gesundheitlich als auch wirtschaftlich besser abschnitten.
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